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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Ahnung, was er zu tun im Begriff war, doch es kam ihm etwas zuvor. Am Rand der Menge kam Unruhe auf; die Leute wandten neugierig die Köpfe, dann erstarrten sie, und es verschlug ihnen die Sprache.
    Thomas Christie kam durch die Menge; trotz der Dunkelheit und des flackernden Fackelscheins wusste ich sofort, dass er es war. Er ging wie ein alter Mann, vornübergebeugt und stockend, ohne irgendjemanden anzusehen. Die Menge wich schlagartig vor ihm zurück, von tiefem Respekt vor seinem Schmerz erfüllt.

    Dieser Schmerz war seinem Gesicht deutlich anzusehen. Er hatte sich Bart und Haare weder geschnitten noch gekämmt noch gewaschen. Seine Augen waren blutunterlaufen, und er hatte Tränensäcke; die Falten von der Nase zum Mund gruben schwarze Furchen in seinen Bart. Doch seine Augen leuchteten lebendig, hellwach und klug. Er schritt durch die Menge und an seinem Sohn vorbei, als sei er allein, und kam die Stufen zur Veranda herauf.
    »Ich gehe mit ihnen nach Hillsboro«, sagte er leise zu Hiram Crombie. »Nehmt sie beide fest, wenn Ihr wollt – aber ich werde mit ihnen reisen, als Garantie, dass es nicht zu weiteren Freveltaten kommt. Die Gerechtigkeit ist doch wohl mein, wenn sie überhaupt jemandem zusteht.«
    Brown zog ein verblüfftes Gesicht; dies war eindeutig überhaupt nicht das, was er im Sinn gehabt hatte. Doch die Menge war sofort dafür und äußerte Beifallsgemurmel über die vorgeschlagene Lösung. Nach dem Mord an seiner Tochter empfand jedermann den größten Respekt und das größte Mitgefühl mit Tom Christie. Und es schien die allgemeine Meinung zu herrschen, dass seine Geste von enormer Großherzigkeit war.
    Was auch stimmte, da er uns mit größter Wahrscheinlichkeit gerade das Leben gerettet hatte – zumindest vorerst. Seiner Miene nach hätte Jamie es lieber darauf ankommen lassen und Richard Brown umgebracht, doch er begriff, dass Bettler nicht wählerisch sein konnten, und fügte sich so gutwillig wie möglich mit einem Kopfnicken.
    Christie ließ seinen Blick einen Moment auf mir ruhen, dann wandte er sich an Jamie.
    »Wenn es Euch recht ist, Mr. Fraser, brechen wir vielleicht morgen früh auf? Es gibt keinen Grund, warum Ihr und Eure Frau nicht in Eurem eigenen Bett schlafen solltet.«
    Jamie verneigte sich vor ihm.
    »Ich danke Euch, Sir«, sagte er förmlich. Christie nickte zurück, machte kehrt und stieg die Stufen wieder hinunter, ohne Richard Brown, der zugleich verärgert und überrumpelt dreinschaute, eines Blickes zu würdigen.
    Ich sah, wie Kenny Lindsay die Augen schloss und erleichtert die Schultern sinken ließ. Dann schob mir Jamie die Hand unter den Ellbogen, und wir drehten uns um und betraten unser Haus, um vielleicht zum letzten Mal eine Nacht unter seinem Dach zu verbringen.

88
    Im Sog des Skandals
    Der Regen, der in der Luft gelegen hatte, kam in der Nacht, und der Tag dämmerte grau, trostlos und nass – passend zu Mrs. Bugs Verfassung. Sie schluchzte ohne Unterlass in ihre Schürze und wiederholte: »Oh, wenn Arch nur hier gewesen wäre! Aber der Einzige, den ich finden konnte, war Kenny Lindsay, und bis er MacNeill und Abernathy geholt hatte -«
    »Quält Euch deswegen nicht, a leannan «, sagte Jamie und küsste sie liebevoll auf die Stirn. »Womöglich ist es ja besser so. Es ist niemand zu Schaden gekommen, das Haus steht noch« – er warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Dachbalken, die er Stück für Stück selbst gezimmert hatte -, »und so Gott will, klärt sich dieser Schlamassel ja vielleicht bald auf.«
    »So Gott will«, wiederholte sie inbrünstig und bekreuzigte sich. Sie zog die Nase hoch und rieb sich die Augen. »Und ich habe Euch einen Bissen zu essen eingepackt, damit Ihr unterwegs keinen Hunger leidet, Sir.«
    Richard Brown und seine Männer hatten, so gut es ging, unter den Bäumen Zuflucht gesucht; ihnen hatte niemand Gastfreundschaft angeboten – einen vernichtenderen Beweis für ihre Unbeliebtheit konnte man sich kaum vorstellen, wenn man bedachte, wie es die Highlander in diesen Dingen hielten. Und ein genauso vernichtender Beweis für unsere eigene Unbeliebtheit, dass sie es Brown gestatteten, uns in Gewahrsam zu nehmen.
    In der Folge waren Browns Männer völlig durchnässt, hungrig, schlaflos und gereizt. Ich hatte zwar auch nicht geschlafen, aber ich hatte mich zumindest satt gefrühstückt, mir war warm, und ich war – noch – trocken, so dass es mir ein wenig besser ging, auch wenn sich mein Herz hohl anfühlte und meine Knochen

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