Ein Hauch von Schnee und Asche
zurück, um zu sehen, wie sein angeheirateter Vetter Forbes sanft an einem Ohr anfasste und es abschnitt.
104
Im Bett mit einem Hai
Stephen Bonnet stand zu seinem Wort – wenn man es denn so beschreiben konnte. Er unternahm keinerlei sexuelle Avancen ihr gegenüber, bestand aber darauf, dass sie sein Bett teilte.
»Ich hab nachts gern etwas Warmes neben mir«, erklärte er. »Und ich glaube, du würdest mein Bett dem Frachtraum vorziehen, Schätzchen.«
Sie hätte eindeutig den Frachtraum vorgezogen, obwohl sie auf ihren Erkundungsgängen
– als sie erst auf hoher See waren, durfte sie die Kajüte verlassen – festgestellt hatte, dass der Frachtraum ein dunkles, trostloses Loch war, in dem mehrere wehrlose Sklaven angekettet waren, umgeben von diversen Kisten und Fässern und ständig in Gefahr, erschlagen zu werden, wenn sich die Ladung verschob.
»Wohin fahren wir, Miss? Und was wird dort geschehen?« Josh sprach Gälisch, und sein wohlgeformtes Gesicht erschien in der Dunkelheit des Frachtraums klein und angstvoll.
»Ich glaube, wir fahren nach Ocracoke«, sagte sie in derselben Sprache. »Darüber hinaus – ich habe keine Ahnung. Hast du deinen Rosenkranz noch?«
»O ja, Miss.« Er fasste sich an die Brust, wo sein Kruzifix hing. »Er ist das Einzige, was mich daran hindert zu verzweifeln.«
»Gut. Bete weiter.« Sie warf einen Blick auf die anderen Sklaven; zwei Frauen, zwei Männer, alle von schlankem Körperbau und mit zarten, feinknochigen Gesichtern. Sie hatte Josh etwas von ihrem eigenen Essen gebracht, konnte ihnen aber nichts anbieten, und das bekümmerte sie.
»Bekommt ihr hier unten gut zu essen?«
»Ja, Miss. Ganz gut«, versicherte er ihr.
»Wissen sie« – sie deutete kaum merklich mit dem Kinn auf die anderen Sklaven -, »wissen sie etwas? Über unser Ziel?«
»Ich weiß es nicht, Miss. Ich kann mich nicht mit ihnen unterhalten. Es sind Fulani, das kann ich ihnen ansehen, aber das ist alles, was ich weiß.«
»Verstehe. Nun …« Sie zögerte. Sie konnte es nicht abwarten, den dunklen, schwülen Frachtraum zu verlassen, doch es widerstrebte ihr, den jungen Stallknecht dort zurückzulassen.
»Geht nur, Miss«, sagte er leise auf Englisch, als er ihren Zweifel sah. »Mir wird schon nichts geschehen. Uns wird allen nichts geschehen.« Er berührte seinen Rosenkranz und bemühte sich, sie anzulächeln, wenn auch ein wenig zittrig. »Möge die heilige Mutter Gottes uns beschützen.«
Da ihr keine tröstenden Worte einfielen, nickte sie und kletterte wieder hinauf in den Sonnenschein. Dabei spürte sie fünf Augenpaare auf sich.
Bonnet verbrachte Gott sei Dank tagsüber den Großteil seiner Zeit an Deck. Sie konnte ihn auch jetzt beobachten; er kletterte die Takelage herunter wie ein Äffchen.
Sie stand reglos da, keine Bewegung außer dem Wind, der ihr durch die Haare fuhr, und ihren Röcken, die ihr um die erstarrten Beine wehten. Er war sich der Bewegungen ihres Körpers genauso bewusst wie Roger – doch auf seine eigene Weise. Der Weise eines Hais, der seine Signale durch die Schwimmbewegungen seiner Beute empfängt.
Bis jetzt hatte sie eine Nacht in seinem Bett verbracht und nicht geschlafen. Er hatte sie beiläufig an sich gezogen, »Gute Nacht, Schätzchen« gesagt und war umgehend eingeschlafen. Doch jedes Mal, wenn sie versuchte, sich
zu bewegen, sich seinem Griff zu entwinden, hatte er sich mit ihr bewegt, um sie dicht bei sich zu halten.
Sie sah sich zu einer unerwünschten Intimität mit seinem Körper gezwungen, einer Nähe, die Erinnerungen weckte, die sie unter großen Schwierigkeiten verdrängt hatte – an sein Knie, das ihre Oberschenkel auseinander schob, an die grobe Vertraulichkeit seiner Berührung zwischen ihren Beinen, an die sonnengebleichten, drahtigen blonden Härchen auf seinen Oberschenkeln und Unterarmen, an seinen ungewaschenen Moschusgeruch. Die spottende Gegenwart Lerois, der sich mehrmals in der Nacht erhob und sich gierig und blind von hinten an sie presste.
Sie erlebte einen Moment immenser Dankbarkeit für ihre gegenwärtige Schwangerschaft – an der sie jetzt nicht mehr zweifelte – und für die Gewissheit, dass Stephen Bonnet nicht Jemmys Vater war.
Er ließ sich aus der Takelage plumpsen, entdeckte sie und lächelte. Er sagte nichts, drückte ihr aber im Vorbeigehen vertraulich den Hintern, und sie biss die Zähne zusammen und klammerte sich an die Reling.
Ocracoke, bei Neumond. Sie spähte zum strahlenden Himmel auf, an dem ganze
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