Ein Hauch von Schnee und Asche
hatte.
»Ich hole es heraus«, sagte ich mit der Zuversicht eines Menschen, der kleinen Kindern schon alles aus der Nase gezogen hat, von Kirschkernen bis hin zu lebenden Insekten. Ich zog meine längste Pinzette heraus und ließ ihre schmalen Greifer beruhigend aneinander klicken. »Was auch immer es ist. Halt nur ganz still, Ian.«
In Ians Augen blitzte kurz das Weiße auf, als er jetzt einen alarmierten Blick auf das glänzende Metall der Pinzette warf, und er sah Jamie flehend an.
»Warte. Ich habe eine bessere Idee.« Jamie legte mir kurz die Hand auf den Arm, um mich zu stoppen, dann verschwand er durch die Tür. Er donnerte die Treppe hinunter, und ich hörte eine plötzliche Lachsalve, als sich unten die Tür zum Schankraum öffnete. Genau so plötzlich wurde das Geräusch wieder abgeschnitten, als sich die Tür schloss wie ein zugedrehter Wasserhahn.
»Fehlt dir auch nichts, Ian?« Er hatte einen roten Spritzer auf der Oberlippe; seine Nase fing jetzt an zu bluten, gereizt durch sein Stechen und Bohren.
»Nun, ich hoffe, nicht, Tante Claire.« Sein ursprünglicher Jubel wich jetzt langsam einem gewissen Ausdruck der Sorge. »Du glaubst doch nicht, dass ich ihn mir ins Gehirn geschoben haben kann, oder?«
»Das halte ich für sehr unwahrscheinlich. Was in aller Welt -«
Doch unten hatte sich die Tür wieder geöffnet und geschlossen, und im Treppenhaus ertönte ein kurzer Ausbruch von Gerede und Gelächter. Jamie nahm zwei Stufen auf einmal und trat wieder ins Zimmer. Er roch nach heißem Brot und Ale, und er hielt eine kleine, zerbeulte Schnupftabaksdose in der Hand.
Diese wurde von Ian dankbar in Empfang genommen. Er streute sich rasch eine Prise schwarzer Staubkörner auf den Handrücken und atmete sie hastig ein.
Ein paar Sekunden lang hielten wir alle drei den Atem an – und dann kam es, ein gigantisches Niesen, das Ians ganzen Körper zurückschleuderte, während sein Kopf nach vorn flog – und ein kleiner, harter Gegenstand landete mit einem Ping! auf dem Tisch und hüpfte in den Kamin.
Ian nieste in einer Salve hilfloser Explosionen weiter, doch Jamie und ich krochen auf den Knien in der Asche herum, ohne uns um den Schmutz zu kümmern.
»Ich habe ihn! Glaube ich«, fügte ich hinzu, während ich mich aufsetzte und die Asche in meiner Hand anblinzelte, in deren Mitte sich ein kleiner, runder, staubbedeckter Gegenstand befand.
»Aye, das ist er.« Jamie hob die vergessene Pinzette vom Tisch auf, nahm mir den Gegenstand vorsichtig aus der Hand und ließ ihn in mein Wasserglas
fallen. Eine zarte Wolke aus Asche und Ruß schwebte an die Wasseroberfläche, um sich dort zu einem staubigen grauen Film zu sammeln. Darunter glitzerte uns der Gegenstand friedlich leuchtend an, und endlich kam seine Schönheit ans Tageslicht. Ein klarer Stein mit Facettenschliff, von der Farbe goldenen Sherrys, halb so groß wie mein Daumennagel.
»Chrysoberyl«, sagte Jamie leise und legte mir eine Hand auf den Rücken. Er warf einen Blick auf Mandys Korb. Ihre seidigen schwarzen Locken bewegten sich sanft im Lufthauch. »Meinst du, er ist brauchbar?«
Ian, dem nun das Wasser aus den Augen lief und der sich ein rot geflecktes Taschentuch an seinen geplagten Rüssel hielt, trat keuchend zu mir, um mir einen Blick über die Schulter zu werfen.
»Ein Idiot also, ja?«, sagte er im Tonfall tiefster Genugtuung. »Ha!«
»Wo in aller Welt habt ihr ihn her? Oder vielmehr«, verbesserte ich mich, »wem habt ihr ihn gestohlen?«
»Neil Forbes.« Jamie nahm den Edelstein aus dem Glas und drehte ihn langsam zwischen den Fingern hin und her. »Die Jungs von der Sozietät waren ziemlich in der Überzahl, also sind wir über die Straße und um die Ecke gerannt, zwischen den Lagerhäusern hindurch.«
»Ich wusste, wo das von Forbes ist, aye, weil ich dort schon einmal war«, warf Ian ein. Eins von Mandys Füßchen ragte aus dem Korb; er berührte es mit der Fingerspitze an der Sohle und lächelte, als sie reflexiv die Zehen streckte. »Es hatte ein großes Loch an der Rückseite, wo jemand durch die Wand gebrochen war, und es war nur mit einem Stück Segeltuch zugenagelt. Das haben wir abgelöst und sind hineingekrochen.«
Und hatten sich direkt neben dem abgetrennten Raum wieder gefunden, den Forbes als Büro benutzte – und der zu dem Zeitpunkt verlassen gewesen war.
»Er hat in einer kleinen Schachtel auf dem Schreibtisch gelegen«, sagte Ian, der sich jetzt wieder neben uns stellte, um den Chrysoberyl voller
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