Ein Hauch von Schnee und Asche
fürchtete – so sehr, dass er ihre verführerische Berührung beinahe willkommen hieß und sich den kalten Fingern und dem Kuss ergab, der ihm den Atem raubte.
»Du hast dir ja Zeit gelassen, Schätzchen«, sagte er zu Brianna, und seine rissigen Lippen teilten sich zu einem Grinsen, das sie aufplatzen ließ und Blut auf seinen Zähnen verteilte. »Aber ich habe gewusst, dass du kommen würdest.«
Roger paddelte mit einem Ruder, um das Boot dicht heranzufahren, dann noch dichter. Er blickte hinter sich, als Brianna die Pistole mit dem goldverzierten Kolben aus der Tasche zog und Stephen Bonnet den Lauf ans Ohr hielt.
»Geh mit Gott, Stephen«, sagte sie deutlich auf Gälisch und drückte ab. Dann ließ sie die Pistole ins Wasser fallen und wandte sich zu ihrem Mann um.
»Bring uns nach Hause«, flüsterte sie.
118
Bedauerlich
Lord John betrat sein Gasthauszimmer und stellte überrascht – ja, sogar erstaunt – fest, dass er Besuch hatte.
»John.« Jamie Fraser wandte sich vom Fenster ab und schenkte ihm ein kleines Lächeln.
»Jamie.« Er erwiderte das Lächeln und versuchte, sein plötzliches Hochgefühl in den Griff zu bekommen. Er hatte Jamies Vornamen in den letzten fünfundzwanzig Jahren vielleicht dreimal benutzt; es war eine Intimität, die ihn beglückte, aber er durfte sich das nicht anmerken lassen.
»Soll ich uns eine Erfrischung bestellen?«, fragte er höflich. Jamie hatte sich nicht vom Fenster wegbewegt; er blickte hinaus, dann sah er John an und schüttelte nach wie vor schwach lächelnd den Kopf.
»Ich danke dir, nein. Wir sind doch Feinde, oder nicht?«
»Wir befinden uns bedauerlicherweise auf entgegengesetzten Seiten eines Konfliktes, bei dem ich fest davon ausgehe, dass er nur kurz sein wird«, verbesserte Lord John.
Fraser sah mit einem merkwürdigen, reuevollen Ausdruck auf ihn nieder.
»Nicht kurz«, sagte er. »Aber bedauerlich, aye.«
»Nun ja.« Lord John räusperte sich und trat ans Fenster. Dabei achtete er
darauf, seinen Besucher nicht zu streifen. Er spähte hinaus und entdeckte den wahrscheinlichen Grund für Frasers Besuch.
»Ah«, sagte er und sah Brianna Fraser MacKenzie unten auf dem hölzernen Gehsteig stehen. »Oh!«, hauchte er in verändertem Ton. Denn William Henry Clarence George Ransom, der Neunte Graf von Ellesmere, war gerade aus dem Wirtshaus getreten und hatte sich vor ihr verbeugt.
»Grundgütiger«, murmelte er, und vor Nervosität kribbelte seine Kopfhaut. »Wird sie es ihm sagen?«
Fraser schüttelte den Kopf, ohne den Blick von den beiden jungen Leuten unter dem Fenster abzuwenden.
»Nein«, sagte er leise. »Sie hat mir ihr Wort gegeben.«
Die Erleichterung rauschte wie Wasser durch seine Adern.
»Danke«, sagte er. Fraser tat es schulterzuckend ab. Es war schließlich auch sein Wunsch – vermutete Lord John zumindest.
Die beiden unterhielten sich miteinander – William sagte etwas, und Brianna lachte und warf ihr Haar zurück. Er sah ihnen fasziniert zu. Lieber Gott, sie waren sich so ähnlich! Die kleinen Details ihres Mienenspiels, ihre Haltung, ihre Gestik … Es musste selbst dem beiläufigsten Beobachter auffallen. Tatsächlich sah er gerade ein Pärchen an ihnen vorbeigehen, und die Frau lächelte beim Anblick des hübschen Duos.
»Sie wird es ihm nicht sagen«, wiederholte Lord John, den der Anblick ein wenig bestürzte. »Aber sie stellt sich vor ihm zur Schau. Wird er nicht – aber nein. Wahrscheinlich nicht.«
»Ich hoffe, nicht«, sagte Jamie, der seine Augen unverwandt auf die beiden gerichtet hatte. »Und wenn doch – wird er es immer noch nicht wissen . Sie hat darauf bestanden, ihn noch einmal zu sehen – das war der Preis für ihr Schweigen.«
John nickte wortlos. Jetzt kam Briannas Mann dazu. Er hielt ihren kleinen Jungen an der Hand, dessen Haar in der Sommersonne leuchtete wie das seiner Mutter. Er hatte ein Baby auf dem Arm – Brianna nahm es ihm ab und schlug die Decke zurück und zeigte William das Kind. Dieser betrachtete es mit allen Anzeichen der Höflichkeit.
Er begriff plötzlich, dass sich Fraser mit jeder Faser seines Wesens auf die Szene im Freien konzentrierte. Natürlich; er hatte Willie seit seinem zwölften Lebensjahr nicht mehr gesehen. Und die beiden zusammen zu sehen – seine Tochter und den Sohn, den er nie ansprechen, nie als den seinen anerkennen durfte. Er hätte Fraser gern berührt, ihm mitfühlend die Hand auf den Arm gelegt, doch da ihm die wahrscheinliche Wirkung einer solchen
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