Ein Hauch von Schnee und Asche
schließlich.
»Nein? Aber du hast doch gesagt, es gibt Kriege.«
»Das stimmt«, sagte sie und wurde von eisigen Nadeln gestochen, als sich
die Bilder in ihren Kopf bohrten: Felder voller Mohn, Felder voller weißer Kreuze – ein brennender Mann, ein nacktes Kind, das mit verbrannter Haut auf die Kamera zulief, das verzerrte Gesicht eines Mannes, eine Sekunde, bevor die Kugel in sein Gehirn eindrang. »Aber – aber es sind nur die jungen Männer, die dann kämpfen. Und nicht alle, nur manche.«
»Mmpfm.« Eine Minute überlegte er mit gerunzelter Stirn, dann betrachtete er sie forschend.
»Diese, deine Welt, dieses Amerika«, sagte er schließlich nüchtern. »Diese Freiheit, in die du zurückkehrst. Ihr Preis wird schrecklich sein. Glaubst du, sie ist ihn wert?«
Jetzt war es an ihr, zu schweigen und zu überlegen. Schließlich legte sie ihm die Hand auf den Arm – fest, warm, stabil wie Eisen.
»Es gibt fast nichts, was es wert wäre, dich zu verlieren«, flüsterte sie. »Aber vielleicht kommt das nah heran.«
Wenn es Winter wird auf der Welt und die Nächte lang werden, beginnen die Menschen, im Dunklen aufzuwachen. Zu langes Liegen im Bett verkrampft die Gliedmaßen, und zu lange geträumte Träume drehen sich auf sich selbst zurück, grotesk wie die Fingernägel eines Mandarins. Im Allgemeinen ist der menschliche Körper nicht auf mehr als sieben oder acht Stunden Schlaf eingestellt – doch was geschieht, wenn die Nächte länger sind?
Es kommt zum zweiten Schlaf. Wenn es dunkel geworden ist, schläft man vor Müdigkeit ein – doch dann erwacht man wieder und steigt an die Oberfläche seiner Träume auf wie eine Forelle, die zum Fressen nach oben schwimmt. Und wenn man einen Bettgefährten hat, der dann gleichzeitig aufwacht – und Menschen, die seit Jahren nebeneinander schlafen, wissen sofort, wenn der andere wach ist -, hat man einen kleinen, zurückgezogenen Ort tief in der Nacht, den man teilen kann. Einen Ort, an dem man sich erheben kann, um sich zu recken und einen saftigen Apfel mit ins Bett zu bringen, den man dann Stück für Stück teilt, während Finger über Lippen streifen. Den Luxus einer Unterhaltung genießen kann, die nicht vom Alltag unterbrochen wird. Sich langsam im Licht des Herbstmondes lieben kann.
Und dann dicht beieinander zu liegen und die Träume des Geliebten als Liebkosung auf der Haut zu spüren, während man erneut in die Wogen des Bewusstseins zu sinken beginnt, freudig gewiss, dass die Dämmerung noch in weiter Ferne liegt – das ist der zweite Schlaf.
Ich tauchte ganz langsam an die Oberfläche meines ersten Schlafs, um festzustellen, dass mein hocherotischer Traum seine Grundlage in der Wirklichkeit hatte.
»Ich hätte mich ja nie für einen Menschen gehalten, der eine Leiche belästigen würde, Sassenach.« Jamies Stimme kitzelte murmelnd die empfindliche Haut unter meinem Ohr. »Aber ich muss sagen, dass mehr an dieser Vorstellung ist, als ich dachte.«
Ich konnte noch nicht zusammenhängend genug denken, um darauf zu antworten, drückte aber meine Hüften auf eine Weise gegen ihn, die für ihn eine ebenso deutliche Einladung darzustellen schien, als ob sie in kalligraphischen Buchstaben auf Pergament verfasst gewesen wäre. Er holte tief Luft, umfasste mein Gesäß und bescherte mir ein in jeder Hinsicht raues Erwachen.
Ich wand mich wie ein Wurm an einem Angelhaken und stieß leise, drängende Geräusche aus, die er korrekt deutete, denn er drehte mich auf den Bauch und machte sich dann daran, keinen Zweifel daran zu lassen, dass ich nicht nur lebte und wach war, sondern auch bestens funktionierte.
Schließlich tauchte ich aus einem Nest aus flach gedrückten Kissen auf – feucht, keuchend, an jedem geschwollenen, schlüpfrigen Nervenende bebend und hellwach.
»Woher kam das denn?«, erkundigte ich mich. Er hatte sich nicht zurückgezogen; wir lagen immer noch zusammen im Licht des großen, goldenen Halbmonds, der über den Wipfeln der Kastanien tief am Himmel stand. Er stieß ein leises Geräusch aus, teils Belustigung, teils Bestürzung.
»Ich kann dich nicht schlafen sehen, ohne dass ich mir wünsche, dich zu wecken, Sassenach.« Seine Hand legte sich um meine Brust, sanft jetzt. »Ich fühle mich wohl einsam ohne dich.«
Seine Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton, und ich drehte ihm den Kopf zu, konnte ihn aber in der Dunkelheit nicht sehen. Stattdessen hob ich die Hand und legte sie auf das Bein, das noch halb um mich geschlungen
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