Ein Hauch von Seide - Roman
jetzt konnte sie nichts mehr tun.
Immerhin musste ihre Schwiegermutter in London bleiben, statt mit Alessandro nach Lauranto zu fahren, was sie, davon war Emerald überzeugt, am liebsten getan hätte, die alte Hexe. Emerald musste jetzt eben dafür sorgen, dass Alessandro sie so sehr vermisste, dass sie, wenn er zurückkam, vor den Augen seiner Mutter mit seiner Hingabe zu ihr prahlen konnte – und Emerald wusste genau, wie das zu bewerkstelligen war.
»Rose, stimmt etwas nicht? Du warst lange nicht zu Hause, um uns zu besuchen.«
»Es ist alles in Ordnung, Tante Amber. Ich hatte nur schrecklich viel zu tun.«
Sie saßen im Wohnzimmer des Hauses in Chelsea und tranken den Tee, den Amber unbedingt hatte machen wollen, obwohl Rose lieber in ihr Schlafzimmer geflohen wäre, als sich mit ihrer Tante zu unterhalten.
Amber war nicht beruhigt. Sie hatte das Gefühl, es war egoistisch, sich nach der einstigen Nähe zwischen ihr und Rose zu sehnen. Sie sehnte sich danach, ihre Nichte in den Armen zu halten und ihren vertrauten Duft einzuatmen, die besondere Bindung zwischen ihnen zu spüren, die ihr immer sehr viel bedeutet hatte. In Rose, hatte sie immer gedacht, hatte sie die Tochter im Geiste gefunden, die Emerald nie gewesen war.
Doch Amber spürte, dass sich etwas verändert hatte. Sie wünschte sich sehr, Rose würde sich ihr anvertrauen, doch sie war auch fest entschlossen, sich nicht allzu neugierig zu zeigen. Doch das war schwer, denn Rose war blass und abgemagert. Andererseits war ihre geliebte Nichte jetzt eine junge Frau mit ihren für junge Frauen typischen heimlichen Hoffnungen und Träumen. So etwas besprach man nicht gern mit jemandem aus der älteren Generation, selbst wenn man ihn sehr liebte, wie Amber sehr wohl aus ihrer eigenen Jugend wusste.
Warum, überlegte Amber, hat die Natur es so eingerichtet, dass die Jugend es so schwer akzeptiert, dass die Generation ihrer Eltern und Großeltern einst dieselben Erfahrungen gemacht hat? In einer besseren Welt wäre es möglich, das, was man aus dem Schmerz, den man durchgemacht hatte, gelernt hatte, an die Jugend weiterzugeben, um ihr zu ersparen, dasselbe durchzumachen, statt dass jede Generation ihre eigenen Erfahrungen machen musste.
»Sieht aus, als würden wir nicht mehr die Zeit finden, uns zu treffen.«
Amber wünschte, sie hätte nichts gesagt, denn sie sah, dass Rose sich fast unmerklich von ihr zurückzog. »Im Laden ist viel los, und du hast auch viel zu tun, wo Emerald frisch verheiratet ist und ein Haus kauft. Da braucht sie sicher deine Hilfe.«
Das Letzte, was Emerald wollte, war ihre Hilfe, da war Amber sich gewiss, und sie hatte gedacht, Rose wüsste das auch.
Rose brachte es nicht über sich, ihre Tante direkt anzusehen. Wäre sie doch bloß nicht gekommen. Sie fühlte sich so unbehaglich in ihrer Gesellschaft – unbehaglich und wütend –, als liefe sie Gefahr, von all den Vorwürfen, die in ihr brannten, zu explodieren. Doch was hatte es für einen Sinn, etwas zu sagen? Ihre Tante würde so tun, als wäre es ein großes Missverständnis, und Rose wusste, dass sie sich am Ende noch miserabler fühlen würde. Ein Teil von ihr sehnte sich nach den Tagen der Kindheit zurück, als sie zu ihrer Tante laufen konnte und wusste, dass Amber mit ihrer Umarmung und einem Kuss auf den Scheitel alles wiedergutmachen konnte. Sie sehnte sich nach jenen Tagen zurück, bevor sie die schreckliche Wahrheit erfahren hatte, die sie jetzt quälte.
»Was ist? Was ist los, Dan?«, fragte Janey ängstlich, als sie sich zum dritten Mal an ihn schmiegte und er sie wieder mit hochgezogenen Schultern abwies.
»Ich bin einfach nicht in der Stimmung.« Seine Stimme war gedämpft und leer. »Es ist nicht deine Schuld«, versicherte er ihr, »es ist meine Schuld, weil ich so ein verdammter Idiot bin. O Gott, Janey, ich könnte mich in den Hintern treten, wirklich. Nicht dass es was nützen würde, und abgesehen davon, kriege ich wahrscheinlich eh einen ordentlichen Tritt in den Hintern, wenn …« Er unterbrach sich und wandte sich wieder von ihr ab, um verdrießlich aus dem schmutzigen Fenster seiner heruntergekommenen Wohnung zu starren.
»Jemand bedroht dich.« Janey war augenblicklich aufgeschreckt.
»Oh, verdammt, ich wollte es dir nicht sagen. Ich will dich nun wirklich nicht mit meinen Problemen belasten.«
»Red keinen Blödsinn. Deine Probleme sind auch meine Probleme«, erklärte Janey ihm liebevoll.
Sie war stolz auf ihn und auf sein
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