Ein Hauch Von Sterblichkeit
mit plärrender Hupe, und schoss vor ihrer Nase vorbei. Sie erschrak höllisch, verriss das Steuer und würgte den Motor ab. Sie war eine vorsichtige Fahrerin und nahm anderen normalerweise nicht die Vorfahrt. Danach konzentrierte sie sich mit aller Macht und merkte rasch, dass es wirklich notwendig war. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab. Gestalten kamen und gingen in zusammenhanglosen Bilderreihen. Yvonne auf ihrem Fahrrad, Bodicote mit seinen Ziegen, Austin mit seinem gelben, im Wind flatternden Schal. Die Versteigerungshalle kam in Sicht, und der Anblick erfüllte sie mit der Art von Erleichterung, die Reisende in der Wüste beim Anblick einer Oase verspüren dürften. Sie fühlte sich unglaublich merkwürdig, während sie parkte. Ihre Arme und Beine wirkten schwer, und sie bewegte sich wie in Zeitlupe – wenigstens hatte sie das Gefühl. Wie eine Schwimmerin in einem sehr warmen Meer. Sie schwebte in ihrem eigenartigen Zustand an Ronnie und Ted vorbei und begrüßte sie mit einer Stimme, die von weit, weit her zu kommen schien. Den beiden auf der anderen Seite schien nichts Ungewöhnliches an ihr aufzufallen. Was auch immer mit ihr geschah – und so viel wusste sie inzwischen, irgendetwas geschah mit ihr –, es spielte sich einzig und allein in ihrem Kopf ab.
»Guten Morgen, Mrs. Caswell …« Ihre stämmigen Gestalten und Ronnies Baseballmütze verblassten in der Ferne hinter ihr wie zwei Dschinn und verschmolzen mit dem Mauerwerk. Sie ging weiter zu ihrem winzigen Büro und nahm ihre ganze Konzentration zusammen, um den Bann zu vertreiben, der sie gefangen hielt. Bestimmt war es die Grippe! Sie hatte Meredith in die Knie gezwungen, und jetzt war Sally an der Reihe. Wie überaus ärgerlich! Vielleicht konnte sie auf dem Weg nach Hause in der Apotheke Medikamente besorgen, gegen die Beschwerden. Sie hängte ihre Winterjacke an den Haken (gar nicht so einfach, weil der Haken auswich) und überflog ihren Schreibtisch. Aus irgendeinem Grund konnte sie sich nicht recht erinnern, was sie dort eigentlich wollte. Aber sie würde gleich anfangen.
»Hallo Sally!« Austins fröhliche Stimme unterbrach sie in ihren Gedanken. Er platzte in das Büro.
»Jemand hat eine Wagenladung Zeug für die nächste Versteigerung gebracht. Wir müssen alles auflisten. Wahrscheinlich nicht allzu viel Arbeit, wie es aussieht – hauptsächlich verschiedene Dinge aus Porzellan und Glas, nichts Besonderes dabei. Ein paar grässliche Bilder, Hochland im Nebel, Hirsche, von der Sorte. Nicht einmal besonders gut erhalten. Die Rahmen sind nichts wert. Wir packen alle zusammen und versteigern sie in einer Partie …« Als ihm bewusst wurde, dass seine Worte mehr oder weniger ungehört verhallten, brach er ab und musterte sie.
»Sal? Alles in Ordnung?«
»Ich weiß nicht.« Sie ließ sich schwer auf ihren Stuhl sinken.
»Ich fühle mich ziemlich merkwürdig. Ich glaube, ich kriege vielleicht die Grippe.« Austin legte seine Hände um ihr Gesicht und hob es zu sich hoch, sodass er ihr in die Augen sehen konnte. Sie starrte zurück und wünschte, sein Gesicht wäre nicht so merkwürdig unscharf.
»Deine Augen sehen komisch aus«, stellte er besorgt fest.
»Vielleicht solltest du lieber nach Hause gehen. Kannst du fahren?«
»Ich weiß nicht.«
»Ich bringe dich.«
»Nein!«, protestierte sie.
»Du musst arbeiten!« Sie spürte, noch während sie redete, dass noch jemand das Büro betreten hatte. Es war schwierig, das Gesicht zu erkennen, doch die Stimme gehörte Meredith.
»Stimmt etwas nicht? Ich bin vorbeigekommen, um zu fragen, ob Sally heute Mittag Zeit hat, um mit mir essen zu gehen?«
»Sie glaubt, dass sie vielleicht eine Grippe bekommt«, erklärte Austin.
»Aber ich bin nicht so sicher. Sehen Sie sich ihre Augen an.« Merediths Gesicht schwebte näher. Es wirkte besorgt.
»Ich sehe, was Sie meinen. Ich bringe sie nach Hause. In Ordnung, Sally? Wir halten unterwegs beim Medical Center und bitten eine Krankenschwester, einen kurzen Blick auf dich zu werfen!« Das riss sie aus dem einlullenden Nebel.
»Nein! Das ist absolut nicht notwendig! Ich fahre nach Hause und lege mich hin, dann komme ich schon wieder auf die Beine!«
»Sally?« Merediths Stimme war voller Zweifel.
»Sally, hast du heute Morgen irgendetwas genommen? Ich meine Tabletten oder so?«
»Nein. Ich nehme keine Tabletten. Warum?«
»Deine Pupillen sind stark geweitet. Wie fühlst du dich?«
»Schläfrig.«
»Was haben Sie vor?«, fragte Austin
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