Ein Haus für vier Schwestern
Rachel diese Frage. Damit hatte sie nicht nur zugegeben, dass sie die Anschuldigung für möglich hielt, sie gab außerdem zu, dass sie nicht über dem Bürotratsch stand.
Connie starrte Rachel an. »Du glaubst doch nicht, dass ich diese Frage beantworte?«
»Warum hast du es mir erzählt?« War das wirklich ihre Stimme? Sie klang völlig gefasst und reserviert.
»Du bist meine Freundin«, erklärte Connie. »Kein anderer hätte sich getraut, sie haben alle Angst vor dir.«
»Du nicht?« Rachel Stimme klang ganz sanft.
»Warum sollte ich?« Herausforderung angenommen.
»Du vergisst die Hackordnung, Connie. Entweder kletterst du auf der Leiter nach oben, oder …« Sie zuckte mit den Schultern. »Oder du bist raus.«
Rachel wand sich innerlich. Hatte sie Connie gerade gedroht? Sie musste hier raus. Mit einer Hand glättete sie den feinen Wollrock ihres Designerkostüms. Sie riss sich zusammen. Connie sollte auf keinen Fall die Genugtuung haben, ihren Zusammenbruch mitzuerleben.
Sie griff nach ihrer Handtasche. »Ich gehe davon aus, dass das alles war?«
Die unerwartete Frage erwischte Connie auf dem falschen Fuß. »Willst du gar nicht wissen, wer die Frau ist? Wie lange das schon geht oder wo sie sich treffen?«
Rachel nahm Geld für ihre Rechnung und das Trinkgeld aus dem Geldbeutel. Connie sollte sehen, wo sie blieb. Sie stand auf, schlang den Taschenriemen über die Schulter und zwang mit letzter Kraft ein Lächeln auf ihre Lippen. »Nicht annähernd so dringend, wie du es mir offensichtlich erzählen willst.«
Auf dem Heimweg ergriff eine merkwürdige Starre von ihr Besitz. Ihr Fahrer wusste, dass sie normalerweise die fünfundvierzig Minuten dauernde Rückfahrt nach Orinda zum Arbeiten nutzte.
Nur keinen Anlass für Klatsch und Tratsch liefern. Keine saftigen Geschichten für die Kumpel in der Fahrerzentrale.
Die Ehefrau erfuhr es immer als Letzte. Rachel hatte dieses Klischee nie geglaubt. Zu einer solchen Selbsttäuschung schienen ihr nicht viele Frauen fähig zu sein. Und in ihrem eigenen Fall war die Überraschung nicht groß genug gewesen. Irgendwo tief in ihrem Innern musste sie etwas geahnt haben.
Bis zum heutigen Tag hatte sie ausreichende Erklärungen für alle Hinweise gefunden. Für die vielen Anrufe, die auf seiner Mailbox landeten, für das Ausbleiben der üblichen Auseinandersetzungen, für sein schnelles Nachgeben, wenn sie zu müde für Sex gewesen war. Am schlimmsten war, dass Jeff so glücklich zu sein schien. Glücklicher als all die Jahre zuvor. Sie hatte es auf ihre gemeinsame Silvesterfeier zurückgeführt, bei der sie mit sündhaft teurem Champagner angestoßen hatten. Die kommenden Jahre sollten die besten ihres Lebens werden.
Jeffs Fröhlichkeit war ansteckend gewesen. Rachel hatte festgestellt, dass sich sogar das Verhalten der Kinder änderte. Cassidy schien nicht mehr dauernd ihren Bruder John herumkommandieren zu müssen. Und John klebte nicht mehr wie eine Klette an seiner Schwester und ärgerte sie.
Jeff war die Glucke, Rachel verdiente die Brötchen. Was für ein blöder, altmodischer Ausdruck! Sie verdiente keine Brötchen, sondern arbeitete hart für ein Gehalt, das ihnen ein gutes Leben ermöglichte. Ein mehr als gutes Leben. Sie wohnten in einem riesigen Haus mit Blick auf die Bucht in einer der begehrtesten Wohnlagen der Stadt.
Das Geld, das Jeff mit seiner Beratungstätigkeit verdiente, genügte kaum, um die Unkosten und die Steuern hereinzubringen. Er könnte viel mehr einnehmen, denn er hatte ein gutes Händchen dafür, Klimaanlagen und Lüftungen für aufwendige Häuser so zu planen, dass sie hinterher auch funktionierten. Doch es war ihr Gehalt, das für die Hypothek, das Schulgeld der Kinder, die Mitgliedschaft im Country Club, die Rentenversicherung und die beiden teuren Autos draufging. Die Finanzierung lastete allein auf ihren Schultern.
Wie konnte Jeff ihr das nur antun? Wie konnte er ihnen das antun? Der ganzen Familie? War er so unglücklich? Warum hatte er ihr nichts gesagt? Warum hatte er ihnen keine Chance gegeben, ihre Probleme zu lösen, bevor er alles zerstörte? Bedeutete sie ihm so wenig?
Der Fahrer hielt vor ihrem Haus und stieg aus, um ihr die Tür aufzuhalten. Normalerweise trug er ihre Aktenmappe und alles, was sie sonst noch dabei hatte, zum Haus und übergab es Jeff. Doch heute besaß Rachel nicht den Nerv, dem Geplänkel der beiden Männer während der Übergabe zu lauschen. Sie entließ den Fahrer mit einer Handbewegung. »Es ist
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