Ein Haus geteilt durch 8
wissen Sie, ich habe meinen Fritz lieber unter Aufsicht.«
»Ach, deswegen brauche ich mir doch keine Sorgen zu machen«, sagte Sabine ein wenig verletzt und beeilte sich, auf etwas anderes zu sprechen zu kommen. Sie besaß keine Nähmaschine, und Frau Holldorf war ihr behilflich, wenn sie ihre Kleider jetzt schon ein wenig auslassen mußte. Aber sie war in diesen Monaten womöglich noch hübscher geworden.
Am Dienstag und Freitag holte Herr Holldorf vom Arbeitsamt seine Unterstützung ab. Sie kamen mit dem Geld, das er heimbrachte, und dem, das Frau Holldorf durch die Heimarbeit verdiente, ganz gut durch. Eigentlich war kaum ein Unterschied gegen frühere Zeiten zu verspüren, als er noch in Arbeit stand. Aber ihn wurmte dieser Gang maßlos, und er warf das Geld auf den Tisch, als hätte er es für eine Ohrfeige eingesteckt. Und daheim lief er herum wie ein Löwe im Käfig. Ein Löwe mit Existenzangst, der Gasflammen kleinschraubte, die Birnen in den Lampen auf ihren Stromverbrauch hin untersuchte und schwächere kaufen wollte und verkniffen zusah, wie das Bohnerwachs in der Dose abnahm, und zu meckern begann, wenn er entdeckte, daß die Waschseife in dem Porzellanschälchen feucht lag und schwammig geworden war. Frau Holldorf ertrug es mit Engelsgeduld.
»Diese Brüder auf dem Arbeitsamt. Da sitzt so ein Sack hinterm Schalter, frißt mir was vor und sagt mir ins Gesicht, da wäre ein Posten als Nachtwächter in der Schokoladenfabrik frei.«
Frau Holldorf ratterte auf der Maschine eine lange Naht herunter.
»Hast du es gehört, Herta? Als Nachtwächter.«
»Jaja, ich habe es gehört.«
»...oder als Hilfsportier in einem Verlag, weil zwei Leute krank geworden sind. Hören Sie, Herr, habe ich gesagt, wenn das alles ist, was Sie mir als gelerntem Schmied zu bieten haben. Hörst du überhaupt zu, Herta?«
»Aber natürlich höre ich zu. Und was hat er gesagt?«
»Was er gesagt hat? Jawoll, das wäre alles, was er mir im Augenblick bieten könne, hat er gesagt.«
»Dann mußt du eben noch ein wenig warten, Fritz.«
»Warten, warten, warten. Und so vergeht ein Tag um den andern und eine Woche nach der anderen. Nee, ich habe die Schnauze voll, randvoll!«
»Aber das nützt doch auch nichts, daß du dich aufregst. Sei doch vernünftig, Fritz. Vorläufig leben wir doch ganz gut, und irgend etwas Passendes wird sich für dich schon finden.«
Es waren Tag für Tag die gleichen Gespräche. Nur der Ton wurde immer ungeduldiger und gereizter. Die Kinder schlichen geduckt umher, fingen für die geringste Kleinigkeit eine Kopfnuß, wurden selber mürrisch und unausstehlich und waren froh, wenn sie nach den Schularbeiten auf die Straße laufen durften. Dem Flocki begegneten sie fast täglich. Sie nannten ihn Flocki Cäsar, als wäre Flocki sein Vor- und Cäsar sein Familienname. Er hatte jetzt die Größe eines kräftigen Jagdhundes erreicht, und der Peter mußte sich, wenn er ihn führen durfte, mit beiden Füßen fest in den Boden stemmen, um von dem Hund nicht einfach um- und mitgerissen zu werden. Der Oberst hatte Anni den Hund für zehn Mark abgekauft, es war für beide Teile ein befriedigendes Geschäft gewesen, und er gestattete es, daß die Kinder ihn zuweilen auf seinen langen Spaziergängen begleiteten. Als alter Junggeselle fand er keine Einstellung zu ihnen, und seine Versuche, sich mit ihnen zu unterhalten, kamen über einen Anlauf nicht hinaus und waren höchst komisch.
»Nun, Kinder, Schularbeiten brav gemacht?«
»Ja, Herr Oberst.«
»Immer fleißig in der Schule?«
»Ja, Herr Oberst.«
»Das ist tüchtig, Fleiß ist Hauptsache. Wichtiger als Genie.«
»Ja, Herr Oberst.«
Zuweilen deutete er mit der Zwinge seines Spazierstocks auf eine Pflanze: »Huflattich... Tussilago farfara.« Oder, wenn Cäsar einen Vogel aufjagte: »Haubenmeise. Gesehen? Parus cristatus mitratus Brehm.Unterschied: Parus cristatusKaup...hauptsächlich Skandinavien.« Die Kinder kümmerten sich um diese botanischen und omithologischen Exkurse genausoviel wie der Hund Cäsar.
Die Kolonne befand sich auf dem Heimweg. Werner Fröhlich saß neben Herrn Paulig, der sich in den letzten Tagen an einem zähen Schnitzel eine Plombe ausgebissen hatte und seitdem mit einem zischenden Geräusch andauernd an seinem Zahn sog. Die allgemeine Stimmung lag beim Gefrierpunkt. Der Umsatz war in den beiden letzten Wochen spürbar zurückgegangen.
»Ich habe gestern mit dem Chef telefoniert.«
»Soso«, sagte Werner Fröhlich nicht gerade
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