Ein Haus geteilt durch 8
früh an! Ist’s Ihnen recht, wenn wir um sechs fahren?«
»Gut, ich stelle den Wecker auf halb sechs.«
»Und nehmen Sie sich was Ordentliches zum Futtern mit, und zum Trinken natürlich auch. Schippen macht Durst.«
Werner nickte den Holldorfs zu und verabschiedete sich. Frau Holldorf sah ihm lange nach, als er die Tür längst hinter sich geschlossen hatte.
»Und du kannst sagen, was du willst, Fritz«, murmelte sie, »aber er ist doch etwas Besseres.«
»Ich weiß nicht, ob Vertreter was Besseres ist«, meinte er achselzuckend, »aber Schnauze hat der Junge, das kann der stärkste Mann nicht abstreiten. Aber hast du schon einmal einen stummen Vertreter erlebt? Ich noch nicht. Na also.«
Drüben in seiner Wohnung untersuchte Werner den Küchenschrank. Aber außer einem Stück Brot und ein paar kalten Kartoffeln fand er nichts Eßbares darin, und er verspürte einen rechtschaffenen Hunger. Die kalten Kartoffeln reizten ihn, sich Bratkartoffeln zu machen, aber dann war ihm das doch zu mühsam, und er lief rasch zu Brieskorn hinunter, um sich einen halben Liter Milch, ein viertel Pfund Butter und ein paar Brötchen zu holen. Aber der Laden war geschlossen. Nicht nur abgesperrt mit einem Schild an der Tür: >Bin in einer Minute wieder da<, sondern die Tür war mit dem Scherengitter und die Schaufenster mit den Rolläden dicht gemacht. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Kaufmann Baldauf hinüberzulaufen, wo er sich drei Eier und eine Scheibe Räucherspeck geben ließ. Der Laden war für die Tagesstunde auffallend gut besucht von Frauen, die in kleinen Gruppen beieinanderstanden und über Dinge sprachen, die sie außerordentlich zu erregen schienen. Er vernahm auch den Namen Brieskorn, aber er kümmerte sich nicht darum. Was konnte schon passiert sein? Wahrscheinlich war Milchhändler Brieskorn auf einem Stückchen Butter ausgerutscht und hatte sich das Bein gebrochen.
Schade drum, er hätte Sabine überraschende Neuigkeiten erzählen können, Neuigkeiten, von denen im Augenblick noch nicht einmal Frau Holldorf eine Ahnung hatte; denn sie war den ganzen Tag über nicht aus dem Hause gekommen, weil sie einen besonders großen und eiligen Posten Schürzen für ihre Fabrik zu nähen hatte. Und der Kriminalbeamte, der den anderen Damen des Hauses seinen Besuch abgestattet hatte, war nur bis zum zweiten Stockwerk gekommen.
Frau Lindberg war die erste der Damen des Hauses, bei der Kriminalinspektor Vorndran vorsprach und um eine kurze Unterredung bat. Frau Lindberg besah sich seinen Ausweis sehr genau, ehe sie den Beamten in die Wohnung ließ. Die Kontrolle diente der Sicherheit und auch einer raschen Durchforschung des eigenen Gewissens; denn Kriminalbeamte gehörten schließlich bei Lindbergs nicht gerade zum alltäglichen Besuch. In dem sicheren Bewußtsein, weder zur Unrechten Zeit Teppiche geklopft noch irgendwann Betten an den Fenstern der Straßenfront gelüftet zu haben, bat sie den Beamten, näherzutreten.
»Es handelt sich um eine Anzeige, gnädige Frau, die vor einiger Zeit bei uns anonym eingelaufen ist.«
»Gegen mich etwa?«
»Nein, gnädige Frau, durchaus nicht. Vielmehr betrifft die Anzeige Ihren Nachbarn, Milchhändler Brieskorn und seine Frau.«
»Milchpanscherei?« fragte Frau Lindberg, »Wissen Sie, wir nehmen nur Büchsenmilch.«
»Schlimmeres und Peinlicheres«, antwortete Herr Vorndran ein wenig gewunden, »wie gesagt, es war eine anonyme Anzeige, der wir zunächst nicht nachgingen, bis sich der anonyme Schreiber zum zweitenmal an uns wandte. Seine Kenntnisse der Brieskornschen Verhältnisse und der betreffenden Vorgänge waren so genau und deutlich, daß wir nicht länger zögern durften, der Anzeige nachzugehen.«
»Ich schreibe keine anonymen Briefe, Herr Kommissar!« sagte Frau Lindberg leicht empört.
»Inspektor«, verbesserte der Beamte. »Selbstverständlich habe ich keinen Augenblick lang angenommen, gnädige Frau, daß die Anzeige von Ihnen stammen könne.«
»Hoffentlich nicht.«
»Leider fanden wir nun bei unserem heutigen überraschenden Besuch in der Brieskornschen Wohnung, daß die Anzeige in allen Punkten der Wahrheit entsprach, und waren daraufhin gezwungen, das Geschäft polizeilich zu schließen.«
»Und warum, Herr Inspektor?«
»Hygienische Mißstände«, hüstelte der Beamte.
»Was Sie nicht sagen? Ich finde, daß das Geschäft stets einen sehr sauberen Eindruck machte. Um Himmels willen! Doch nicht etwa Typhusgefahr?!«
»Nein, nein, gnädige Frau, in
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