Ein Haus geteilt durch 8
dadurch arbeitslos. Aber jetzt arbeitet Werner mit ihm zusammen draußen am alten Kugelfang.«
Sie sperrte die Wohnungstür auf und ließ Werners Mutter Zeit, das kleine, fehlerhaft geprägte Türschild zu betrachten.
»Ja, gewiß«, sagte Frau Fröhlich ein wenig nervös, »aber ich verstehe trotzdem kein Wort davon. Kugelfang... Blei... Das müssen Sie mir schon etwas genauer erklären, Sabine.«
Sabine öffnete die Tür zu dem Zimmer, in dem die grüne Couch stand. Es war in der Mansarde nicht mehr so heiß wie in den vergangenen Tagen, da ein Gewitter Abkühlung gebracht und den Himmel eingetrübt hatte. Werners Mutter nahm in dem kleinen Sessel Platz, den Sabine ihr anbot. Ihre Augen wanderten über die Einrichtung, und das Spitzentüchlein, mit dem sie ihre Augen betupft hatte, wurde zwischen den Fingern ein winziges Stoffbällchen.
»Sehr nett, wie Sie hier wohnen«, murmelte sie.
»Weshalb sagen Sie nicht, daß Sie es scheußlich finden?« fragte Sabine ruhig. »Mein Vater ist Straßenaufseher. Mehr als die Wäscheausstattung habe ich nicht in die Ehe mitgebracht. Und was Sie hier sehen, gnädige Frau, haben wir bei Trödlern und auf Auktionen zusammengekauft. Aber wir leben hier sehr glücklich.«
»Nein, Sabine«, rief Frau Fröhlich und ließ ihren Tränen freien Lauf. Die feine Puderschicht auf ihren Wangen löste sich auf und rann, rosige Flecken hinterlassend, auf ihr rohseidenes Kleid. »Ich finde es nicht scheußlich, bei Gott nicht! Ich finde es rührend, wie ihr lebt und wie ihr euch liebt und wie ihr zusammenhaltet, und ich wünsche nichts anderes, als daß es dir bald leicht fällt, mich Mutter zu nennen und mir zu erlauben, daß ich du zu dir sage.«
Sabine lächelte ihr entgegen. »Wenn du mir versprichst, daß du uns so leben läßt, wie wir beide leben möchten, Werner und ich -dann möchte ich dich gern Mutter nennen.«
»Komm, Sabine, und gib mir einen Kuß«, sagte Frau Fröhlich bewegt, »ich bin sehr glücklich, daß Werner eine so liebe, reizende Frau wie dich gefunden hat!« Sie stand auf und umarmte ihre Schwiegertochter zärtlich, und Sabine erwiderte die Umarmung und die Küsse.
»Darf ich dir eine Tasse Tee anbieten. Mutter? Ich und unser Kaninchen - weißt du, wir nennen es immer unser Kaninchen - haben Durst, und auch ein wenig Hunger. Ich habe gestern einen Apfelkuchen gebacken.«
»Wunderbar! Laß mich das Geschirr auftragen, während du den Tee machst. Und dabei sollst du mir alles erzählen. Von euren Nachbarn, und von Werner. Er gräbt Blei? Ich verstehe es wirklich nicht. Was macht man mit Blei? Außer zu Silvester beim Bleigießen.«
Es war sieben Uhr abends, als Frau Fröhlich sich von Sabine verabschiedete. Es gab nichts oder fast nichts, was sie in diesen Stunden von Sabine nicht erfahren hatte. Von den Bleigruben am Kugelfang. Von Werners Entschluß, die Sommermonate zum Geldverdienen und den Winter zum Studium auszunutzen. Von den Milchbädern der jungen Frau Brieskorn und von dem aufregenden Ende dieser peinlichen Geschichte. Von dem Kind, das Frau Lindberg verloren hatte. Vom Tode des Dackels Waldmann, und wie es dazu gekommen war, daß Holldorfs Kinder dem Oberst ihren Flocki verkauft hatten, der nun Cäsar hieß.
»Weißt du, Mutter«, sagte sie schließlich, während Frau Fröhlich neben ihr auf der Couch saß und ihre Hand hielt, »da lebt man nun unter einem Dach mit so vielen Menschen zusammen und weiß fast nichts voneinander und kümmert sich auch nicht sonderlich darum. Aber dann lernt man den und jenen ein wenig näher kennen und merkt mit einemmal, daß überall Menschen mit den gleichen Sorgen und Freuden leben wie man selbst. Werner war immer ein lieber Kerl, und ich war schrecklich in ihn verliebt. Und trotzdem fürchtete ich mich ein wenig davor, ihn zu heiraten. Er war so verwöhnt und so ganz anders aufgewachsen als ich. Als ob er in einem Gewächshaus groß geworden sei. Und manchmal kam ich mir gegen ihn alt und erfahren vor. Ich weiß nicht, ob du mich richtig verstehst?«
»Ich verstehe, Sabine, ich verstehe dich ganz genau.«
»Aber seit wir hier leben, in diesem Hause, in dieser Mansarde, neben Holldorfs und über dem alten Oberst mit seiner vertrockneten, aber herzensguten Schwester - und seit Werner mit den schrecklichen Rasierapparaten von Tür zu Tür gelaufen ist, schwitzend vor Scham und Furcht, und doch so mutig... und seit er draußen mit Herrn Holldorf am Kugelfang nach dem Blei gräbt, was eigentlich ein Schwindel ist,
Weitere Kostenlose Bücher