Ein Haus geteilt durch 8
Werkhallen und Lagerschuppen immer näher an das am Rande des Betriebsgeländes liegende Wohnhaus herangerückt, so daß nur noch dieses letzte Parkstück mit ein paar prachtvollen Blutbuchen, Lärchen und Ahornbäumen übriggeblieben war.
Dr. Fröhlich hatte es sich bequem gemacht und den dunklen Anzug gegen einen blauen Hausmantel vertauscht. Auch seine Frau hatte das Theaterkleid abgelegt und trug ihren Morgenrock aus leichter, großgeblümter Seide. Sie war immer noch eine schöne Frau, ein wenig zur Fülle neigend, was ihrem Teint zugute kam, der zart und straff war wie die Haut eines jungen Mädchens. Durch das üppige, dunkelblonde Haar zog sich eine hellere Strähne, ein kleiner Kunstgriff ihres Friseurs, die sie vortrefflich kleidete.
Beide genossen die Stunde. Er hatte sich eine milde Zigarre angezündet und war dabei, einen Bocksbeutel zu entkorken, behutsam, wie es sich für die edle Kreszenz gehörte, eine Escherndorfer Eulengrube vom Jahrgang 1963. Er sammelte edle Weine, wie andere Leute Briefmarken oder Kupferstiche sammeln, und war auf den Versteigerungen und Proben in Deidesheim, Würzburg und Rüdesheim ein bekannter Gast, auf dessen Urteil sogar alte Weinexperten etwas gaben. Er schenkte den Probeschluck ein, beobachtete, wie der Wein ölig abfloß, sog die Blume ein, hob das Glas gegen das Licht, fand die Farbe ohne Tadel und ließ die Probe über die Zunge rollen.
»Hm, wirklich ausgezeichnet, immer noch hervorragend, trotz des offenbaren Mangels an Säure. Ich fürchtete damals, er würde bald Umschlägen.«
Er füllte auch das Glas seiner Frau und reichte es ihr hinüber.
»Schade, daß ich davon nur noch elf Flaschen im Keller habe. Ich werde sie für eine besondere Gelegenheit aufheben.«
Frau Charlotte Fröhlich streifte ihre Ringe ab und legte sie auf den Tisch neben das Armband aus kunstvoll gefaßten Golddukaten, das er ihr zum letzten Geburtstag, dem fünfundvierzigsten, geschenkt hatte. Sie warf ihm über den Rand ihres Glases einen Blick zu.
»Die Heimkehr des verlorenen Sohnes wäre eine hübsche Gelegenheit, nicht wahr?«
»Vielleicht«, murmelte er.
Sie setzte das Glas ab und lehnte sich in ihren Sessel zurück. Die schönen Hände mit den spitz zugefeilten, naturfarben lackierten Nägeln ruhten lässig auf den Lehnen, nur die Fingerspitzen der rechten Hand bewegten sich in einem Rhythmus, als spiele sie ein paar Takte des Chopinschen Impromptus nach, das sie vor einer halben Stunde gehört hatte.
»Es sind heute auf den Tag sechs Monate, daß Werner davongelaufen ist, Arnold. Findest du nicht, daß es allmählich Zeit wird, mit diesem Spiel Schluß zu machen?«
»Aber Liebste, das liegt doch nicht an mir.«
»So? Nun, ich finde, wenn der Junge zu dickköpfig ist, um den Anfang zu machen, dann müßten wir gescheiter sein als er. Hast du inzwischen etwas Neues erfahren?«
»Nicht sehr viel. Unser braver Herold mit seinem famosen Beobachtungsinstitut ist ziemlich tüchtig, wenn es um finanzielle Auskünfte geht. In dieser Hinsicht hat er mich vor manchem Reinfall bewahrt. Das letztemal, als der junge Schwibus von mir einen Kredit haben wollte. Aber seine Nachrichten über Werner sind sehr dürftig.«
»Was schrieb er in seinem letzten Bericht?«
»Merkwürdige Geschichten, von denen ich nicht recht weiß, ob ich mich darüber ärgern oder freuen soll. Werner reist in der Kolonne eines Großhandelsvertreters namens Henrici als Untervertreter und handelt mit elektrischen Rasierapparaten.«
»Großer Gott«, rief Frau Charlotte entsetzt, »Arnold, ich bitte dich um alles in der Welt! Du kannst doch nicht zulassen, daß unser Junge als Vertreter von Tür zu Tür geht?«
»Kannst du mir einen Rat geben, wie ich es verhindern soll?« fragte er und hob die Schultern. »Aber beruhige dich, es geht ihm dabei gut. Ja, es geht ihm leider so gut, daß wenig Aussicht darauf besteht, er werde - hm - reuevoll zu uns zurückkehren.«
Er bemerkte die kleine, protestierende Bewegung ihrer Hand und verbesserte sich: »Also schön - nicht zu uns, sondern zu mir.«
»Ich verstehe nur nicht, daß sich Werner auch bei mir nie gemeldet hat. Und am wenigsten verstehe ich, daß er nicht zu mir kam, bevor er mit dir sprach.«
»Und was hättest du ihm gesagt, Charlotte?«
»Ja«, seufzte sie resigniert, »was hätte ich ihm wohl gesagt? Wahrscheinlich wie immer, daß er sich an dich wenden solle.«
Er nickte ihr zu: »Also überlaß auch mir die Schuld, Liebe - falls man hier von einer
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