Ein Herzschlag danach
Polarfuchs.
»Was machst du denn hier?«, fragte Rachel. Ihre Lippen glänzten wie reife Süßkirschen.
»Wir waren laufen«, antwortete Alex. Dabei fiel ihm wohl ein, dass ich auch noch da war. Er drehte sich um und schien überrascht, dass ich so dicht hinter ihm stand.
Rachels Blick landete auf mir wie der Lichtstrahl eines Suchscheinwerfers.
»Das ist Lila«, sagte Alex, »Jacks kleine Schwester.«
Klein? Das Wort schnitt durch mich wie ein Messer.
Rachel musterte mich von Kopf bis Fuß, von meinem verschwitzten, sonnenverbrannten Gesicht bis hinunter zu meinen verdreckten Laufschuhen. Ganz kurz sah sie aus, als hätte sie Zahnschmerzen, doch im nächsten Augenblick warf sie mir ihr strahlendstes Lächeln zu und reichte mir die manikürte Hand. »Wie schön, dich kennenzulernen. Jack hat mir schon viel von dir erzählt.«
Nur zu gern hätte ich gesagt, dass er mir rein gar nichts von ihr erzählt hatte, aber ich schluckte die Bemerkung hinunter und schüttelte ihr höflich die Hand.
»Rachel arbeitet in unserer Einheit«, erklärte Alex lächelnd. »Sie ist unser Boss.«
Das haute mich fast von den Socken. Sie war der Boss? Sie kommandierte Alex herum? Die Liste der Dinge, weshalb ich sie hasste, wurde immer länger.
Rachel zuckte mit den Schultern. Sie hatte mich offenbar als unwichtig abgetan und richtete ihren Blick wieder auf Alex. Da ich gut fünfzehn Zentimeter kleiner als die beiden war, kam ich mir vor wie ein Kind, das von den Eltern nicht beachtet wurde.
Vielleicht entfuhr mir ein leises Seufzen, jedenfalls bemerkte Alex meine Anwesenheit und sagte: »Wir müssen weiter, Rachel. Wir sehen uns später.«
Später? Noch ein Stich mit dem Messer. Dieses Mal blieb eine offene Wunde zurück.
»Ciao, Alex«, sagte sie. »Ich rufe dich an. Viel Spaß beim Babysitten.«
Es dauerte, bis ich begriff, doch dann schnappte ich empört nach Luft. Mir schoss das Blut in die Wangen.
Alex’ Lippen waren zu einer dünnen Linie zusammengepresst. Als sich unsere Blicke begegneten, schüttelte er nur leicht den Kopf, als wollte er sagen: Achte einfach nicht auf sie.
Dann geschah alles beinahe gleichzeitig. Ein irrer, kreischender Ton durchbrach die Stille und ließ die Luft vibrieren. Er schien alles platt zu walzen … dann wurde mir klar, dass es nicht der Lärm war, sondern Alex, der mich zu Boden presste. Ich lag auf Armen und Knien. Alex’ Arme schützten meinen Kopf. Ich hatte keine Ahnung, was los war; mein einziger Gedanke war, dass Alex verletzt sein musste, aber gerade, als Panik in mir aufstieg, löste Alex sich von mir, sprang auf die Füße und riss mich unsanft hoch.
Das Kreischen zerfetzte mir fast das Trommelfell und mein Hirn fühlte sich an, als würde es in zwei Teile gerissen. Alles spielte sich wie in Zeitlupe ab. Die Soldaten rannten hin und her. Ich sah es bruchstückhaft, wie von Stroboskopblitzen beleuchtet. Einige hielten schon die Waffen, während die Hände der anderen zu ihren Holstern zuckten. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis ich begriff: der Lärm, die Panik, die Waffen – sie wurden angegriffen. Nein: Wir wurden angegriffen.
Alex packte mich und zerrte mich weg. Sein Griff war hart wie eine Stahlklammer um meinen Arm. Halb gelähmt vor Schmerzen und Kopfweh, konnte ich kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Ich stolperte und taumelte neben ihm her. Er zog mich zu seinem Motorrad.
Dann wurde ich hochgehoben und auf den Rücksitz gesetzt. Alex schwang sich vor mir auf den Sitz. Er kickte den Ständer hoch und startete die Maschine. Der Motor röhrte auf. Alex griff nach meiner Hand, zog sie um seinen Körper und presste sie gegen seine Hüfte.
»Gut festhalten!«, sagte er über die Schulter.
10
So hatte ich mir die Fahrt auf dem Motorrad nun wirklich nicht vorgestellt. Ich war so verängstigt, dass ich nicht einmal die Nähe zu Alex genießen konnte. Ich kniff die Augen zu und hörte nur noch, wie der aufjaulende Motor das grelle Heulen der Sirenen übertönte. Der Wind peitschte mir das Haar ins Gesicht, aber ich wagte nicht, auch nur eine Hand von Alex zu lösen, um mir die Strähnen aus den Augen zu schieben. Wenigstens nahmen die stechenden Kopfschmerzen ab, bis sie nur noch ein leichtes Pochen waren.
Schließlich wurde die Maschine langsamer, bog ein paarmal ab und rollte aus. Jetzt erst öffnete ich wieder die Augen. Wir standen vor Jacks Haus. Alex fasste sanft meine Hände; ich hielt ihn fest umklammert, sodass er meine Finger einzeln lösen musste. Er
Weitere Kostenlose Bücher