Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
sich ansah. Und ununterbrochen sprach sie von dem Baby – Estellas Baby –, doch er verstand sie nicht. Anfangs hatte er gedacht, ihr Interesse an dem Kind lenke sie von ihren ständigen Stimmungsumschwüngen und Weinkrämpfen ab, doch er war rasch zu dem Schluss gekommen, dass er ihre Tränen diesem verrückten Einfall mit dem Kind vorzog, der allmählich zur Manie wurde. Schon der Anblick der Wiege und all der Spielzeuge ließ James schaudern, und das Gerede über Kindermädchen und Kindergärten erweckte in ihm den Wunsch, die Flucht zu ergreifen.
James eilte zu seinem Zufluchtsort, dem Savoy Hotel. Die Teesalons dort waren warm und behaglich, und vor allem konnte Davinia ihn dort nicht erreichen. James hatte seit Wochen keine einträglichen Mandanten mehr gehabt. Kleinere Aufträge hatte er – wenn auch zögernd – abgelehnt, weil Davinia ihn sonst in seinem neuen Büro angerufen und angebettelt hätte, nach Hause zu kommen. Dabei schreckte sie auch nicht davor zurück, ihn zu erpressen: Ihn erwartete dann entweder tagelanges Schweigen, das er aber eher begrüßte, oder sie verweigerte sich ihm, was er mit Gleichmut ertrug. Wenn auch das nichts half, pflegte Davinia ihm das Geld zu kürzen.
James hatte angenommen, ihre Besessenheit, was das Baby betraf, würde mit der Zeit nachlassen, doch Davinia dachte seit langer Zeit an kaum etwas anderes. Ständig drängte sie ihn, nach Australien zu reisen und das Kind zu holen, obwohl James ihr immer wieder sagte, dass es bis zur Geburt noch Monate dauerte.
Er trank seine dritte Tasse Kaffee und las seine Zeitung zum zweiten Mal, als Marcus und Caroline den Teesalon betraten. Als James aufblickte und sie entdeckte, stöhnte er innerlich auf. »Und ich dachte, der Tag könnte nicht viel schlechter werden«, murmelte er vor sich hin und erhob sich, um sich auf den Weg zu machen.
Caroline entdeckte ihn sofort. Sie verspürte eine so tiefe Abneigung, dass sie schauderte. Dann aber dachte sie an ihre vergeblichen Versuche, Estella zu erreichen. Irgendwie musste sie herausfinden, ob es ihrer Tochter gut ging, auch wenn das bedeutete, mit ihrem verachtenswerten Schwiegersohn sprechen zu müssen.
»James?«, rief sie, und er hielt widerstrebend inne.
»Ich bin nicht in der Stimmung, mich mit euch zu streiten«, sagte er, während er seine Zeitung faltete und sie sich unter den Arm klemmte. Der Anblick von Caroline und Marcus erweckte Schuldgefühle in ihm. Zwar hatte er nicht ernsthaft vor, Estella das Baby wegzunehmen, doch er hatte auch noch nichts unternommen, Davinia von ihren Plänen abzubringen.
Caroline nahm an, dass James’ düstere Stimmung nichts mit ihr und Marcus zu tun hatte, sondern eher mit Davinia, und sie freute sich insgeheim, dass sein Leben nicht so reibungslos verlief, wie er es sich wahrscheinlich vorgestellt hatte. Sie hätte ihm sogar einen völligen Fehlschlag gegönnt.
»Hast du Verbindung zu Estella aufgenommen?« Carolines kühler Tonfall verriet ihre Bitterkeit.
»Nein«, gab James knapp zurück.
Caroline beherrschte sich nur mühsam. »Findest du nicht, du sollest es tun?«
James seufzte. »Ich werde hinfliegen, sobald ... das Baby kommt.« In diesem Moment erkannte er, dass er die Gelegenheit nutzen und den Zeitpunkt der Geburt erfahren konnte.
Caroline starrte ihn überrascht an. »Wirklich?« Ihr Gefühlsagte ihr, dass er seine Meinung nicht geändert hatte; dennoch keimte ein wenig Hoffnung in ihr auf.
»Ja. Wie war nochmal der errechnete Termin?«
Caroline überlegte. »Florence sagte, Estella habe das Kind Mitte Juni empfangen, also müsste es Ende März geboren werden – aber das solltest du selbst ja wohl am besten wissen.«
James schluckte eine zornige Antwort hinunter und verließ mit hochrotem Gesicht den Salon.
Ein leises Summen war das erste Geräusch, das Estella bewusst wahrnahm. Ihre Nase juckte, weil ihr die Fliegen übers Gesicht krabbelten. Ihre eine Wange fühlte sich unerträglich heiß an, denn sie lag auf dem nackten Metall des Flugzeugrumpfes. Die innere Verkleidung war abgerissen, und die Nachmittagssonne brannte unbarmherzig auf die Außenhülle herab. Estella hob den Arm, um die Fliegen zu vertreiben; sie fühlte sich schrecklich steif. Sie öffnete die Augen einen Spalt, doch die Sonne, die durch das zerbrochene Fenster fiel, blendete sie so sehr, dass sie die Lider rasch wieder schloss. Nach einigen weiteren Versuchen hatten ihre Augen sich so weit an die Helligkeit gewöhnt, dass sie ihre Umgebung
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