Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
wusste, dass sie schwanger war? Dann aber sagte sie sich, dass er Stunden gebraucht haben musste, um wieder nüchtern zu werden; also konnte er sie unmöglich schon untersucht haben.
»Habe ich da vorhin einen Lastwagen gehört?«, fragte sie in der Hoffnung, ihn abzulenken.
»Ja. Das ist der Postbote, Wally Gee – oder ›Wags‹, wie die Leute ihn hier nennen.«
Verwundert erwiderte Estella: »Aber eine so kleine Stadt wie Kangaroo Crossing braucht doch sicher keinen Lastwagen, um die Post auszuliefern ...?«
Dan lachte. »Wally liefert alles aus, von Kleinvieh bis zu gebackenen Bohnen, und nicht nur hier im Ort, sondern auch an alle umliegenden Farmen.« Er legte die Akte aus der Hand. »Er beliefert ein Gebiet von Hunderten von Meilen.« Dan kam um das Bett herum und zog Estellas eines Unterlid ein wenig herunter. »Sie sind ein bisschen blass heute Morgen, aber ich sehe kein Anzeichen von Blutarmut.«
»In England scheint die Sonne nicht allzu häufig«, gab Estella zurück und versuchte verlegen, ihre Arme unter der Decke zu verstecken.
»Und trotzdem sind die englischen Damen viel vorsichtiger, wenn es darum geht, ihre empfindliche Haut zu schützen. Wahrscheinlich ist sie deshalb so wunderbar glatt.«
Seine Bemerkung irritierte Estella, denn sie erschien ihr unpassend, doch er wirkte völlig unbefangen.
»Sie werden verstehen, was ich meine, wenn Sie auf die Farmen und stations kommen und die Frauen dort sehen, deren Haut von der Sonne gegerbt ist. Aber was sollen diese Frauen machen? Einige sind gezwungen, an der Seite ihrer Männer mitzuarbeiten. Wir haben schwere Zeiten. Das Geheimnis besteht darin, die Haut zu bedecken, wenn man in der Sonne ist. Der Grund für Ihren Zusammenbruch war vermutlich, dass Sie zu lange im Flugzeug eingezwängt waren und zu wenig getrunken hatten.«
»Stimmt. Ich habe den Flug nicht vertragen und hatte den ganzen Tag nichts gegessen, was wahrscheinlich auch nicht gut war.«
»Nein, sicher nicht. Aber wenn Sie jetzt genug trinken und gut frühstücken, werden Sie sich rasch von der Reise erholen.« Er ging wieder zum Fußende des Bettes zurück. »Wo wir gerade von Frühstück sprechen – was hätten Sie gern?«
»Was steht denn auf der Karte?«
Er lächelte. »Was wir anzubieten haben, würde sich auf einer Karte nicht gut ausnehmen. Es gibt Porridge, Toast und Marmelade. Und Sie haben Glück: Heute Morgen haben mindestens drei Hühner Eier gelegt, also haben wir auch die, wenn Sie mögen. Und natürlich Tee.«
»Es ist zu heiß für Porridge, aber Toast und Marmelade hätte ich gern. Und dazu Tee, falls frische Milch da ist.«
»Es gibt sogar sehr frische Milch – dank Gertrude, die hinter dem Haus steht.«
»Sie haben eine Kuh?«, fragte Estella verwundert.
Dan lachte. »Gertrude ist eine Milchziege – ein sehr störrisches Exemplar. Aber sie frisst weniger als eine Kuh, und ihre Milch ist ebenso nahrhaft, leicht verdaulich und bleibt länger frisch.«
Estella wusste nicht, ob sie Ziegenmilch mochte, denn sie hatte noch nie welche getrunken.
»Ich bringe Ihnen Ihr Frühstück in einer Minute«, sagte Dan.
»Sie werden es doch wohl nicht selbst machen, oder?«
»Natürlich. Kylie ist seit mehr als zwölf Stunden im Dienst und todmüde, und sonst ist niemand da.«
Es überraschte Estella, dass es im Krankenhaus kein Personal für solche Aufgaben gab. Sie fühlte sich wie eine Betrügerin, weil sie ja nicht wirklich krank war. »Das kann ich doch selbst tun«, sagte sie und machte Anstalten, aufzustehen.
»Sie bleiben, wo Sie sind. Eher schneit es in Kangaroo Crossing, als dass wir zulassen, dass die Patienten sich selbst versorgen.«
»Aber ich bin doch ...«
»Kein Aber.«
Estella sah ein, dass sie sich geschlagen geben musste. »Wer säubert denn dann die Räume und kümmert sich um die Wäsche? Da fällt doch sicher sehr viel an!«
»Das erledigt eine Einheimische. Kylie und ich teilen uns meist die Arbeit in der Küche. Manchmal haben wir jemanden, der uns dabei hilft, heute aber leider nicht.«
»Und Schwester Betty?«
Dan lächelte. »Schwester Betty ist fast siebzig Jahre alt.«
Estella blickte ihn verwundert an. »Kylie hat mir erzählt, dass sie immer noch mit Ihnen zu den Farmen hinausfliegt.«
»Manchmal, aber nicht in offizieller Funktion. Die Frauen und Kinder dort draußen freuen sich immer, Betty zu sehen, auch wenn sie nur mit ihr plaudern und eine Tasse Tee trinken.Oft ist das die einzige Medizin, die sie brauchen. Betty sollte
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