Ein Hoffnungsstern am Himmel Roman
wollen ... Schlimmer kann es kaum noch kommen.«
Sie weinte, bis sie keine Tränen mehr hatte.
Schließlich gelang es Estella, sich ein wenig zu fangen. Sie ging nach draußen und atmete tief durch. Der modrige Geruch des Hauses haftete ihr noch in der Nase, und sie sog in tiefen Zügen die Nachtluft ein, um den Brechreiz zu unterdrücken. Es war stockdunkel, sodass sie Charlie auch dann nicht gesehen hätte, wäre er noch in der Nähe gewesen – doch er war sicher so schnell wie möglich in die Bar zurückgekehrt. Als EstellasÜbelkeit ein wenig nachließ, blickte sie sich um. In der Ferne meinte sie die Lichter des Hotels zu erkennen und ging mit unsicheren Schritten darauf zu. Ihr Gepäck ließ sie im Haus zurück.
Nachdem sie einige Male an Sträuchern hängen geblieben war und sich den Fuß an einem Felsen gestoßen hatte, näherte sie sich langsam der so genannten »Hauptstraße«. Den ganzen Weg über war sie das Gefühl nicht losgeworden, beobachtet zu werden; einige Male war sie stehen geblieben, um sich umzusehen. Sie hatte gemeint, in der Dunkelheit die Augen eines Tieres leuchten zu sehen, wahrscheinlich die einer Katze oder eines Hundes, doch die geisterhaften Lichtblitze waren wieder verschwunden, und Estella hatte ihren Weg fortgesetzt.
Noch immer stand ein Wagen vor dem Hotel. Estella zögerte, hineinzugehen und ihren Onkel um ein Zimmer für die Nacht zu bitten. Als sie sich unschlüssig umschaute, sah sie das Krankenhaus – und plötzlich fiel ihr ein, dass Kylie sie gefragt hatte, ob sie wiederkommen würde.
Sie war so erschöpft, dass es sie alle Kraft kostete, sich auf den Beinen zu halten, als sie das Krankenhaus betrat. Die junge Schwester freute sich, Estella zu sehen, bis sie erkannte, in welcher Verfassung sie war. Kylie hatte auf einem Sessel in einem Büro in der Nähe des Eingangs gedöst. Die Nächte, in denen keine Patienten zu versorgen waren, erschienen ihr unendlich lang, doch Dr. Dan bestand darauf, dass stets jemand Dienst tat.
Kylie half Estella in eins der Zimmer. Binnen weniger Minuten war sie ausgezogen und lag in einem sauberen Bett. Estella war Kylie unendlich dankbar, nahm aber vor Erschöpfung und Müdigkeit kaum noch wahr, wie ihr Hände und Gesicht gewaschen wurden. Sie versank auf der Stelle in Schlaf.
Im nächsten Augenblick ließ ein markerschütterndes Krachen Estella aufschrecken. Halb benommen stieg sie aus dem Bett und schaute den Flur hinunter. Am anderen Ende, ineinem Lichtkegel in der Nähe der Ausgangstür, sah sie Kylie, die sich über irgendetwas beugte. Ohne nachzudenken eilte Estella zu ihr, um ihr zu helfen.
»Was ist passiert?«, fragte sie atemlos und blickte der jungen Schwester über die Schulter. Aus einem der Büros ragten zwei Beine in den Flur; an einem der Füße war kein Schuh, und auf dem Boden lagen Bücher und Akten verstreut.
»Es ist nur Dr. Dan«, erwiderte Kylie, die gerade eine hässliche Schnittwunde über einem Auge des Arztes untersuchte.
»Was ist denn passiert?«, erkundigte sich Estella.
»Er ist gegen den Aktenschrank gefallen. Morgen Früh wird ihm ganz schön der Schädel brummen!«
Bei dem Gedanken, wie betrunken Dr. Dan gewesen war, wich Estella angewidert einen Schritt zurück und beobachtete, wie Kylie sich mühte, ihn hochzuheben.
»Sie sollten ihn lassen, wo er ist«, meinte sie.
Ohne Estella zu beachten, packte Kylie den Arzt unter den Armen und versuchte, ihn weiter ins Büro hineinzuziehen, in dem Estella in einer Ecke eine Matratze auf dem Boden liegen sah. Obwohl sie ihn lieber dort liegen gelassen hätte, wo er hingefallen war, beugte Estella sich schließlich doch hinunter, um Kylie zu helfen. Mit vereinten Kräften schafften sie es, Dr. Dan auf die Matratze zu ziehen, die genau zu diesem Zweck dort zu liegen schien. Kylie zog ihm den einen Schuh aus und stellte ihn auf die Seite.
»Sein Verhalten ist eine Schande«, sagte Estella.
Die junge Schwester wirkte traurig, während sie auf den Arzt hinunterblickte. »Urteilen Sie nicht zu hart über ihn, Missus«, erwiderte sie. »Er ist ein guter Arzt, und er hat ein Herz aus Gold.«
»Er ist Alkoholiker und nicht in der Lage, Patienten zu behandeln!«, schimpfte Estella. »Jemand sollte ihn anzeigen!«
Kylie blickte auf. Ihre großen braunen Augen schauten kummervoll. »Er ist wirklich ein sehr tüchtiger Arzt, MissusEstella, sonst wäre ich nicht hier.« Sie blickte wieder auf Dr. Dan hinunter. »Er lebt mit seiner Einsamkeit, so gut er
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