Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
Vom Netzwerk:
Bedauern schwang doch da in seiner Stimme? »Und wenn ich nicht mehr Ihre Klientin wäre?«, fragte sie. »Wenn ich jetzt aufstünde und hinausginge und diese Räume nie mehr beträte …« Im Dickicht des Konjunktivs, dachte sie mit klopfendem Herzen und setzte sich auf. Sie hatte nichts zu verlieren. »Wenn ich die Therapie abbräche …«
    »Dann müsste erst noch eine gewisse Zeit vergehen«, entgegnete Theodor. »So sind die Regeln.«
    »Aber neulich«, rief Natalie und kam sich kindisch vor, »da sind wir sogar zusammen Geisterbahn gefahren!«
    Er nickte. »Das war ein zufälliges Treffen.«
    Es klingelte an der Tür. Theodor hob die Schultern. »Kommender Dienstag ist Ihr nächster Termin.« Mit diesen Worten verbeugte er sich leicht vor ihr, und Natalie hätte ihm am liebsten ihre Handtasche auf den Kopf gehauen, um dann sein wundervolles Habicht-Gesicht zu küssen.
    Er öffnete ihr die Tür. »Auf Wiedersehen, Frau Schilling.«
    »Auf Wiedersehen.« Hoheitsvoll stöckelte sie an ihm vorbei.
    Auf dem Weg nach unten traf sie einen übergewichtigen älteren Mann, der sich schnaufend am Geländer hochzog. Plötzlich erklang, monophon und viel zu laut, die Erkennungsmelodie von Miss Marple aus seiner Hose. Er versuchte mit der Hand in die Tasche zu fassen, aber sein Bauch hinderte ihn daran. Natalie war auf dem Treppenabsatz stehen geblieben und beobachtete von oben, wie der Mann hektisch an seiner Hose herumnestelte, sie schließlich öffnete und bis zu den Knien herunterließ, um das immer lauter werdende Handy zu erreichen.
    »Schleyberger!«, dröhnte er schließlich hinein und dann, etwas leiser: »Ah, Matülde, ja … aber ja. Das tut mir leid. Gut, dann nicht heute. Morgen also? Auch nicht? Übermorgen? Nun, ich … ruf … dich heute Nachmittag noch mal an. Wenn’s recht ist. Tschüssiküssi … Shit …« Mit seinem dicken Daumen hatte er offensichtlich Schwierigkeiten, die Aus-Taste zu treffen. Das Handy gab einige gequälte Piepstöne von sich. Dann verstummte es. Schleyberger stand in einem blau-grün gepunkteten Slip da, machte ein bekümmertes Gesicht und schwitzte.
    Er schien die Welt um sich herum vergessen zu haben. Natalie räusperte sich.
    »Oh!« Rasch ging er in die Knie, um seine Hose wieder hochzuziehen, doch sein Bauch war immer noch im Weg, und auch kreisende Hüftbewegungen halfen nicht, nur das Handy fiel dabei zu Boden. Schleyberger bückte sich schnaufend und zeigte Natalie dabei sein gepunktetes Gesäß. Mit abgewandtem Gesicht eilte sie an ihm vorbei. Armer Theodor, dachte sie. Gleich muss er sich das Gequatsche von diesem dämlichen Dickwanst anhören.
    Und arme Matülde.
    Und armes, armes Ich , dass ich eine dermaßen erhöhte Wahrnehmung haben muss.
    Die Formulierung gefiel ihr. Sie war einfach zu sensibel für all das Grobe dieser Welt. Ein in Mauschelmustern bezogener Sessel konnte sie aus der Bahn werfen, die kunterbunten Acrylnägel der Kassiererinnen, sogar das Kopfsteinpflaster der Leonhardtstraße machte ihr zu schaffen, was allerdings weniger mit ihrer neu entdeckten Feinstofflichkeit zu tun hatte, sondern mit den Absätzen. Zweimal knickte sie um, ihr kleiner Zeh pochte wütend. Mit letzter Kraft schaffte es Natalie auf eine Café-Terrasse und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Ihr gegenüber saß lesend ein Mann. Natalie reckte den Hals. Sie wollte unbedingt wissen, wie das Buch hieß. Da! Jetzt hob er es ein wenig in die Höhe: Krieg der … Zwerge . Na wunderbar, dachte Natalie und sank in ihren Stuhl zurück. Ganz wunderbar. Es hatte überhaupt nichts gebracht, ihre Psyche aufräumen zu wollen. All ihre Macken hatten sich seitdem nur verschlimmert. Sie wurde nun permanent von Zwergen verfolgt, schmiss Nudelmaschinen die Kellertreppe runter, trank zu viel, spülte Wunschmünzen in die Berliner Kanalisation, fand, dass ihr Therapeut ein toller Habicht war, und zu allem Überfluss war sie in ihn verliebt.
    »Cappuccino«, rief sie der Bedienung zu. »Und einen Ramazzotti.« Sie schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, hatte sie das Praxisfenster von Theodor Silberstadt im Blick. Das Fenster zum Hof , fiel ihr ein. Und sie hatte eine Idee, die nichts mit in Aluminiumkoffern fortgeschafften Leichenteilen zu tun hatte. Sie würde Theodor einfach ein klein wenig beschatten, herausbekommen, wo er so hinging, wo er aß und einkaufte. Und dann würden sie sich zufällig treffen.
    Der Zufall schien ihr großer Freund werden zu wollen.
    Nachdem sich Theodor Heinz

Weitere Kostenlose Bücher