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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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Schleybergers Lamento angehört hatte, das in der ungalanten Aussage gipfelte, dass alle Frauen Schlampen seien, hörte er sich »Die Zeit ist um« sagen, was eine Lüge war, denn zwölf Minuten hätte es noch dauern müssen. Doch Theodor konnte nicht mehr. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, das Hemd klebte an seinem Rücken.
    »Auch Matülde, auch Matülde«, grummelte Schleyberger, »wie die mich eben abserviert hat. Schlampen, alles Schlampen.«
    Theodor dachte an Natalie, die definitiv keine Schlampe war, und es tat ihm leid, dass er nicht zugesagt hatte, mit ihr essen zu gehen. Was wäre dabei gewesen? Gar nichts. Rein gar nichts. Wie er sich aufgeplustert hatte. Ausgewogenes Nähe-Distanz-Verhältnis. Was für ein Mist.
    »Wollen wir beide nicht mal ein Bier trinken gehen?«, fragte Schleyberger und sah ihn aus geröteten Augen an.
    Theodor fuhr in die Höhe. »Nein!«, rief er. »Neinneinneiiiin.«
    »War ja nur ’ne Frage.«
    Theodor nutzte die ausstehenden elfeinhalb Minuten, um Schleyberger zu vermitteln, dass eine frauenfeindliche Haltung dem Wunsch nach einer liebenden Lebenspartnerin nicht zuträglich sei und dass Schleyberger mal über sein Verhältnis zu seiner Mutter nachdenken sollte, und ob er da Parallelen feststellen könne, denn …
    »Kennen Sie den schon?«, unterbrach ihn Schleyberger: »Warum gibt es mehr Frauen als Männer auf der Welt? Weil es mehr zu putzen als zu denken gibt. Zack! Der ist gut, was?«
    Und damit war Schleyberger endlich zur Tür hinaus. Theodor hörte sein fettiges Lachen noch eine Weile im Treppenhaus widerhallen. Erschöpft legte er seine Stirn auf die gläserne Tischplatte und erwartete ein zischendes Geräusch. Er genoss die Glätte und Kühle, schloss die Augen. Wie ein Schwamm schien er die Unausgegorenheit der Menschheit in sich aufzusaugen. Es nahm ihn alles zu sehr mit. Und das meiste stieß ihn ab. Das konnte längerfristig nicht gesund sein. Abwechselnd kühlte er seine Wangen. Dann stand er auf, lief stöhnend umher, riss das Fenster auf. Er hatte Magenschmerzen, so sehr vermisste er David.
    Dass er beobachtet wurde, bemerkte Theodor nicht, er war zu sehr mit Ein- und Ausatmen beschäftigt. Was ist das für ein Knick in meinem Leben?, fragte er sich verzweifelt. Innerhalb weniger Tage geht mir alles kaputt, worauf ich meine Hände verwettet hätte: meine Beziehung und mein Beruf. Ich werde als einsamer Mann sterben, gescheitert, vergessen. »Quatsch«, hatte seine Maman neulich erwidert, als er ihr genau dasselbe gesagt hatte. »Dir geht mal ein bisschen was schief, und gleich jammerst du rum. So was gehört zum Leben dazu.«
    »Ja, aber …«, wollte er widersprechen.
    »Nix aber!« Hertha wedelte ungeduldig mit den Händen, als wollte sie eine Fliege fortscheuchen. »David kommt zurück, darauf kannst du wetten. Und was das Berufliche angeht: Hast du schon mal überlegt, dich zur Ruhe zu setzen?«
    »Waaaas?«, hatte Theodor geschrien. »Ich liebe meinen Beruf, ich …«
    »Schrei nicht, wenn du mit mir sprichst. Du bist siebenundfünfzig Jahre alt, mein Sohn. Wieso genießt du nicht einfach das Leben ein bisschen mehr?«
    »Ich werde mich doch nicht in meinem Alter zur Ruhe setzen! Ich werde doch nicht den ganzen Tag zu Hause rumsitzen und als Highlight des Nachmittags mit den alten Leutchen aus dem Heim eine Runde um den See laufen! Ich werde doch nicht …«
    »Ach, Theodor, denk nach, bevor du etwas sagst!«, hatte seine Mutter verärgert entgegnet. »Und widersprich mir nicht immerzu. Das ist eine ungute Angewohnheit.«
    Theodor starrte auf das rote Sofa. Wann hatte er es angeschafft? Wie viele Leute hatten darauf Platz genommen? Er wollte gerade zu seinem Apple gehen, um die Klientendatei zu öffnen, doch dann ließ er es bleiben. Viele waren es gewesen. Sehr viele. Auf einmal stach ihm die Sofafarbe ins Auge. Schlimmer als Zinnoberrot.
    Seelenblutrot.
    Sich zur Ruhe setzen? Was für eine Idee! Die Idee seiner Maman, die wohl dabei war, ein wenig wunderlich zu werden. Erst vor Kurzem hatte sie sich vehement geweigert, einen Krückstock zu benutzen.
    »Ich bin doch keine alte Frau!«, hatte sie gesagt, als Theodor ihr wenigstens einen Spazierstock kaufen wollte.
    »Du bist achtzig Jahre alt, Maman«, hatte er zu ihr gesagt.
    »Und du bist bald sechzig!«
    »Oder hättest du lieber einen Lauf-Trolli?«, hatte sich David eingemischt. »Den könnte ich dir hübsch bunt anmalen.«
    »Wenn es so weit kommt«, hatte Hertha mit kalter Stimme erwidert,

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