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Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Ein Hummer macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Hummer macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Wekwerth
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Natalie irritiert an.
    »Schade. Aber macht ja nichts. Meistens dominiert der Roquefort sowieso zu stark, und deswegen nehme ich jetzt … eine Quarkkartoffel.«
    »Und ein Mineralwasser?«, fragte die Kellnerin. »Mit oder ohne Gas?«
    »Ach, lieber eine Apfelschorle, bitte.«
    »Ich lese immer Ihre Kochkolumne«, sagte Theodor, als die junge Frau fort war. »Sie müssen eine begnadete Köchin sein.«
    »Ach.« Natalie winkte bescheiden ab.
    »Doch, doch. Neulich haben Sie erklärt, wie man Croissants zubereitet. Das war wirklich witzig und lehrreich zugleich.«
    »Oh, bitte fangen Sie doch mit dem Essen an«, rief Natalie.
    »Ich warte gern auf Sie.«
    »Nein, nein. Es wird doch alles kalt. Bitte, Herr Silberstadt.«
    »Wenn Sie darauf bestehen.« Mit einer Bewegung, die sie im Geiste als respektvoll bezeichnete (Etwas anderes wollte ihr einfach nicht einfallen, denn noch niemals hatte sie jemanden so hochachtungsvoll in eine dicke, pralle Wurst schneiden sehen, die erstaunliche Ähnlichkeit mit ihrem kleinen Zeh aufwies.), begann Theodor Silberstadt zu essen. Natalie war überwältigt. Er hätte ihretwegen seine Mahlzeit kalt werden lassen.
    »Es muss großartig sein, eine eigene Kolumne zu haben«, sagte Theodor, nachdem er sich den Mund mit der Serviette abgewischt hatte. »Sich immer wieder seiner Kreativität hingeben zu können, Woche für Woche etwas zu erschaffen, das scheint mir das perfekte Leben zu sein.«
    »Ach, so toll ist das auch wieder nicht«, erwiderte Natalie. »Es hat weniger mit Kreativität als mit Disziplin zu tun. In gewisser Weise ist Kolumnenschreiben Fließbandarbeit ohne Pardon. Es muss mir einfach immer etwas einfallen, ob ich will oder nicht. Wenn ich wenigstens mal etwas Sinnvolles schreiben könnte.«
    »Interessant«, sagte er wieder.
    »Aber Ihre Arbeit«, fuhr Natalie mit geröteten Wangen fort. »Das ist Erfüllung. Sie helfen den Menschen. Sie hören ihnen zu, geben weise Ratschläge, verbessern ihre Leben, retten sie womöglich.«
    Theodor schob die zweite Wurst zwischen einem Häufchen Kartoffelsalat und einem Gewürzgurkenfächer hin und her.Am liebsten hätte er Natalie erzählt, dass er Heinz Schleyberger vor einer Viertelstunde gern seinen schweren Locher ins Gesicht gerammt hätte, oder den Papierkorb, oder wenigstens den hübsch geformten Feuerstein, der auf seinem Schreibtisch lag. Von Lebenretten konnte keine Rede sein.
    So etwas war Theodor noch nie passiert: die Lust, gewalttätig zu werden. Was für eine Lust! Nicht reden, sondern zuschlagen. Die Erleichterung, die damit einhergehen würde, musste überirdisch wohltuend sein. Wie Trinken, nach einem Marsch durch die Wüste, wie Schlafen, wenn man todmüde war, wie der Biss in ein Königsberger Marzipanbrot – geflämmt und natürlich von Paul Wald aus der Pestalozzistraße. Theodor seufzte. Vielleicht hatte seine Mutter gar nicht so Unrecht. Er musste sich ja nicht gleich zur Ruhe setzen, er könnte sich eine Auszeit nehmen. Wenn man sich dem Impuls, seine Klienten zu verkloppen, nur noch schwer entziehen konnte, sollte man etwas unternehmen.
    »Herr Silberstadt?«, hörte er eine Stimme.
    »Entschuldigen Sie, ich war in Gedanken.«
    Natalie sah ihm forschend ins Gesicht. »Sie leiden sicher sehr darunter, verlassen worden zu sein.«
    »Woher wissen Sie das?«, fragte Theodor erschrocken.
    »Sie haben es mir doch selbst erzählt«, antwortete sie. »Auf dem Mittelalterfest. Wissen Sie nicht mehr? Da sagten Sie zu mir, wie anstrengend das Gerede der Leute für Sie geworden sei. Und dann warfen Sie versehentlich einige Plastikbecher von dem Holzfass, an dem wir saßen, und dann sagten Sie, dass Sie das Gefühl hätten, keinen Filter mehr zu haben, der den Irrsinn der anderen aus Ihnen heraushält.« Sie holte kurz Luft. »Sie sprachen die Befürchtung aus, darüber selbst so skurril geworden zu sein, pardon, aber das war Ihre Formulierung, ich wiederhole lediglich … dass Ihre fünfundzwanzig Jahre währende Beziehung deswegen in die Brüche gegangen sei. Sie bezeichneten sich als kompliziert, egoistisch, bedrängend und …« Natalie dachte kurz nach. »… besitzergreifend! Ja, das war’s!«
    »Du meine Güte«, sagte Theodor. »Hatten Sie ein Diktiergerät laufen?«
    »Ich höre einfach nur gut zu«, gab sie zurück und besah sich interessiert die Quarkkartoffel, die gerade vor sie hingestellt wurde.
    Im Gegensatz zu mir, dachte Theodor und wünschte Natalie »Guten Appetit«.
    »Danke.«
    Sie begann zu essen.

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