Ein Hund mit Charakter
erleichtert. In ihrer breiten südungarischen Ausdrucksweise verständnisvoll und wie jemand, der Bescheid weiß, meint sie: »Wir werden schon miteinander auskommen.« Treffender ließe sich die Beziehung zwischen Lebewesen gar nicht charakterisieren, will es dem Herrn scheinen. Man muß miteinander auskommen, denkt er und nickt zustimmend. Dann schreitet man zu Tisch.
Während die für den Heiligen Abend obligatorische Speisenfolge aufgetragen und genossen wird, deren Düfte den auf dem Schoß der Dame liegenden Tschutora offenbar außerordentlich interessieren würden – nämlich die Weinsuppe, die kalte Fischvorspeise, der traditionelle Truthahn und die Nuß- und Mohnstrudel –, während dieser ganzen Zeit stellt der Herr, der am unteren Tischende zwischen Tante Etelka und einer der Cousinen Platz gefunden hat, immer mal wieder mit forschendem Blick fest, daß die Dame bereits plaudert, jemandem zuprostet und sogar speist, allerdings nur einhändig, weil die andere Hand unbewegt auf dem Bäuchlein des Tieres ruht.
Tschutora benimmt sich auf dem Schoß der Dame wahrhaft mustergültig, und wenn man all die immer neuen, betörenden und außergewöhnlichen Wolken von Wohlgerüchen in Betracht zieht, die mit jedem weiteren Gang auf seine Geruchsorgane einstürmen, kann man über solch schamhafte Beherrschtheit und Zurückhaltung nur staunen, Tschutora unterläßt jedwede aufdringliche Bettelei ebenso wie Meinungsäußerungen aller Art. Ohne Zweifel ist er bäuerlicher Herkunft und bezieht daraus – wie spätere Verhaltensweisen noch bekunden werden – eine wohl ererbte, eigenartige Würde und Distanz. Keine Sekunde lang geht ihm, solange er auf dem Schoß der Dame ruht, die Selbstbeherrschung aus. Man muß diese Disziplin um so mehr würdigen, weil er, wie sich bald erweist, schon eine ganze Weile einem dringenden, keinen Aufschub duldenden Bedürfnis hätte nachgeben müssen. Das wird in dem Moment offenbar, da die Tafel aufgehoben ist und die Dame den Hund auf den Boden setzt. »Eure schöne, gepflegte Wohnung!« bedauert die feine Tante Etelka in leiser Verzweiflung, den Blick zum Plafond erhoben. Der brave Josef stellt in der ihm eigenen diskreten und taktvollen Art die eher prinzipielle Erwägung in den Raum, ob man in einer Stadtwohnung überhaupt einen jungen Hund heranziehen kann. Die Cousinen zweifeln keinen Augenblick daran, daß dies unmöglich ist. Sodann schlürfen die Gäste ihren kleinen Schwarzen und schicken sich zur Verabschiedung an.
Sie gehen in die verschiedensten Richtungen auseinander, schließlich ist die Familie groß, immerzu läutet das Telephon, und es schickt sich einfach, daß die Dame und der Herr noch vor Mitternacht auch bei der anderen Linie der Familie zu einem Kurzbesuch erscheinen. Bei jenem Teil der Verwandtschaft, mit dem diese Linie in ihrer Gesamtheit keinerlei Kontakt pflegt. Warum man nicht miteinander verkehrt? Weil bei der Hochzeitsfeier von Elemér im Jahre 1923 Aranka etwas über Ilonka geäußert haben soll. An den Wortlaut der Bemerkung kann sich natürlich keiner mehr so genau erinnern, doch sitzt die Kränkung bei allen so tief, daß sie ihre verzweifelte Neugier und die tiefe Sehnsucht, die unstillbar in ihnen lebt, verleugnen und es ihnen sogar bei so seltenen Anlässen widerstrebt, die Feier der verfeindeten Linie aufzusuchen. Das mag verstehen, wer will. Tante Etelka wird gewiß Gelegenheit nehmen, morgen um die Mittagszeit das Telephon, das ihr eigentlich zuwider ist, zu ergreifen, um von der Dame in allen Einzelheiten zu erfragen, was es bei denen drüben in der Csabagasse, auf der anderen Seite der Generalswiese, zum Abendessen gegeben hat, wie das Kleid aussah, das Aranka trug, ob Gergely diesmal großzügiger den Familienmitgliedern gegenüber war und was die Dienstboten bekommen haben. Dies und vieles andere wird sie erkunden und die Neuigkeiten sogleich weiterleiten, nicht ohne dabei sonst noch allerlei in den Stromkreis des Tratsches für die andere Linie einzuspeisen, wo man jedes spärliche Rinnsal von Neuigkeiten dankbar entgegennimmt. Und dennoch hält die Tante in diesem Augenblick mit so eisiger Miene der Dame die Stirn zum Abschiedskuß hin, als könnte sie den großen Vertrauensbruch, der an den zwei Fronten der Familie, sowohl von der Dame als auch von dem Herrn, so verbissen begangen wird, nicht mit dem Verstand fassen und schon gar nicht im Herzen nachempfinden. »Vielleicht nehmt ihr auch das kleine Tier mit hin«, rät sie zum
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