Ein Hund mit Charakter
Abschied, während sie sich das Pelzcape um ihre fürstliche Gestalt legen läßt; und wirft dabei den Cousinen einen vielsagenden Blick zu, die in ihre hochgeschlagenen Pelzkrägen kichern, weil sie wissen, daß Gergely Hunde haßt und Aranka schon aus der Fassung gerät, wenn ein Gast etwas Zigarettenasche auf den Teppich rieseln läßt. Das kleine Tier steht neben dem Herrn im Türrahmen und wittert mit gespitzten Ohren und erhobener Schnauze dem Grüppchen der Verwandten hinterher, das die Treppe hinunterhastet. Aufgeweckt und offenbar interessiert scheint es die Frage zu stellen: »Wer sind denn die?« – »Das, Tschutora, sind die Verwandten«, gibt der Herr zur Antwort, während sie durch die Diele in die Wohnung zurückkehren, »und damit du weißt, woran du bist, mußt du auch erfahren, daß 1923, bei der Hochzeitsfeier von Elemér, Aranka etwas geäußert hat … doch wer soll dir das plausibel machen? Kurz und gut, das ist die Familie.«
In Schichten und dick wie Vaseline liegt der Dunst all der Überreste des Festes und des Essens auf der Wohnung. Die Dame rückt sich bereits den Hut zurecht, Theres greift zum Hörer und bestellt einen Wagen. »Nehmen wir ihn mit?« fragt der Herr unsicher und lenkt seinen besorgten Blick auf Tschutora, der sich bereits mit der plötzlichen Müdigkeit eines Säuglings vor dem Ofen zusammengerollt hat und auf der Stelle eingeschlafen ist. Sie sprechen unwillkürlich leiser. Als sich Theres ohne Zögern bereit erklärt, das Tierchen für diese Nacht mit in ihr Bett zu nehmen, weist die Dame das Angebot in einer plötzlichen Aufwallung von Eifersucht sofort zurück. Nun hat er dieses Wesen niederer Ordnung erst vor ein paar Stunden zu sich genommen, und seither muß man sich pausenlos um diesen winzigen Ankömmling kümmern, stellt der Herr indigniert fest – wie jede Kreatur, die wir in unser Leben einbeziehen, verlangt selbst dieses Bündelchen, diese Handvoll Hund bereits einen Menschen für sich, ununterbrochene Aufmerksamkeit, absolute Zuwendung, alles und immer, kurz: das Ganze. Wie soll das werden, sinnt er ein wenig beklommen. Es ist schon seltsam, nichts, aber auch gar nichts kann man nur so nebenbei tun … Und sie verspüren sogar schon Eifersucht, weil sie ihn gern haben. Und das wird jetzt sicher auch so bleiben, weil es ein Naturgesetz ist. Ein Gesetz, das schmerzt und zudem lästig ist, denkt er, schüttelt den Kopf und macht dem schlafenden Tschutora aus Zeitungen ein Lager im Papierkorb zurecht, denn das ist zunächst die einzig mögliche und einigermaßen hygienische Lösung.
Der Wagen fährt sie durch verschneite Straßen und bringt sie später auch wieder heim, auf der Rückfahrt ist die Dame tatsächlich schon sehr erschöpft, vor allem von Arankas bohrenden Fragen; ganz beiläufig wollte sie wissen, ob Etelka heute abend die schwarze Emailnadel mit der weißen Einlegearbeit angesteckt hatte, die sie bei der Soiree 1923 trug. Müde und wortlos sitzen sie im Fond des Wagens, der durch die stillen Gassen mit den zu beiden Seiten hoch aufgetürmten Schneewällen gleitet; denn die armen Leute haben gut gearbeitet in der Nacht, die Fahrbahn ist sauber geräumt. Die Dame wischt mit der behandschuhten Hand über die reifbedeckte Scheibe, beugt sich vor und lugt hinaus, als gäbe es dort noch irgend etwas Festliches zu entdecken; sie ist neugierig, denn eigentlich bedauert sie, daß das komplizierte, strapaziöse und feierliche, an Sticheleien und toten Erinnerungen so reiche, aber doch so anrührende Fest schon wieder Vergangenheit ist …
»Das Merkwürdige ist«, bemerkt sie, als der Wagen vor dem Haus zum Stehen kommt, »daß es lebt.«
Sie hat an das Geschenk gedacht, das nun ihrer harrt, oben in dem noch unaufgeräumten Zimmer mit abgestandener Luft und all den Requisiten des Festes. Welche Gedankenassoziation hat ihr wohl diesen Satz eingegeben, denkt der Herr müde, während er die Taxirechnung begleicht. Als sie im finsteren Stiegenhaus angekommen sind, in dem Zsombolya, der melancholische Hausmeister, auch in dieser Nacht vergessen hat, die Laterne anzuzünden, sind beide so erschöpft und schläfrig, daß sie, sich aneinander klammernd, nach oben stolpern und der Herr keine Lust mehr verspürt, dieses psychologische Phänomen zu besprechen.
Leben in der Welt
Ein quälendes Unterfangen, das Leben in dieser Welt! Alle wollen sie etwas von der Kreatur, fordern und mäkeln den ganzen Tag in einer fremden Sprache an ihr herum – wenn man nur
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