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Ein Hund mit Charakter

Ein Hund mit Charakter

Titel: Ein Hund mit Charakter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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Mr. Bloch, der für alles nur noch fertige Begriffsbestimmungen und ein Lächeln hat! – Vielleicht würde er in Ohnmacht fallen, wenn ihn einmal unschicklicherweise jemand fragte, woraus die Welt gemacht ist.
    Auch Tschutora scheint Mr. Blochs Lächeln zu mögen, das sein Gesicht erleuchtet, welches aus Fleisch, Blut und Nerven geformt ist, seine hellblauen Augen, die ihm zum Schauen dienen, strahlen läßt. Die wohlige Wärme des Familienlebens genießt Mr. Bloch natürlich nur in Gesellschaft des idealen Ehepaars Wood; vielleicht weil er weise ist oder weil er möglicherweise doch etwas weiß über die Woods, das er nicht preisgibt. Auf jeden Fall begleitet ihn Tschutora zur Tür und verabschiedet ihn mit vergnügtem Schwanzwedeln, wobei ihm Mr. Bloch mit kamelartig nickendem Wohlwollen erklärt, daß er der dog ist, der seinerseits aus Fell, Fleisch und vielen Blutgefäßen besteht, und daß er die Aufgabe hat, das Haus zu bewachen und – wie aus der fourth lesson bekannt – dem Menschen ein treuer Freund zu sein. Zweimal pro Woche trifft Mr. Bloch diese Feststellung beim Abschied an der Tür und stets in seinem singenden, wohlartikulierten Englisch, blickt dann erwartungsvoll auf seinen Schüler und wartet auf Antwort. Doch Tschutora äußert nie einen Ton. Der Herr schilt ihn vergeblich, was soll denn aus einem armseligen ungarischen Hirtenhund werden, wenn er nicht Englisch lernt, umsonst eröffnet er ihm, daß er in Amerika eines Tages noch Friedensrichter werden könnte … Nein, Tschutora, dieser Bauernklotz, wird niemals Englisch lernen. Auch Mr. Bloch teilt diese Meinung: Da ist keine, nicht die geringste Chance, daß Tschutora es in der großen Welt einmal zu etwas bringen wird.

Psychoanalyse

    Möglicherweise hat alles damit angefangen, daß eines Tages ein Herr, der vom Land kam und etwas von Hunden verstand, feststellte: »Ein phantastischer Köter«. Und er sagte dieses »phannttassttisch« irgendwie sonderbar prononciert, machte dann eine Pause, als habe ihn die wahllose Verdopplung der Konsonanten etwas erschreckt. Entsprechend den gesellschaftlichen Regeln uniformiert, saß er da, die Teetasse in der Hand, fein und in ländlicher Grazie; dabei betrachtete er fasziniert den seit drei Tagen fast ununterbrochen kläffenden Tschutora: »Nehmen Sie mir’s nicht übel, meine Gnädigste«, so sagte er, und man hörte genußvoll zu, wie gewissenhaft er die Konsonanten artikulierte, »aber einen solchen Hund habe ich wirklich noch nie gesehen, phannttassttisch.« Er sprach mit vollem Mund. Und Tschutora kauerte, wie immer, wenn Fremde auftauchten, hinter dem Ofen. Auch wenn man ihn geschimpft oder mit etwas geärgert hat oder ihn nicht ausführen wollte, obwohl ihm danach war, aber auch wenn man sich über ein ihm nicht genehmes Thema unterhielt, kroch er hinter den grünen Kachelofen, streckte nur gelegentlich seinen Kopf zwischen den grünen Kacheln hervor und kläffte mit kurzen Unterbrechungen stundenlang. Der Gast, der in seinem Nomadendasein weit herumkam und mit vielen Hunden zu tun hatte, verfolgte das Gebell mit Sachverstand, geneigtem Kopf und zusammengezogenen Brauen, wie ein Arzt dem Rasseln einer angegriffenen Lunge lauscht; dann wiegte er ernst das Haupt. In dem Tier stecke eine außerordentliche Wut, bemerkte er, eine ganz außergewöhnliche Wut! … Wie alt er jetzt sei? Sieben Monate? … Unglaublich. Zur Erleichterung der Gastgeber stellte er die Teetasse ab – denn er hatte sie seit geraumer Zeit mit beängstigender, rustikaler Besuchereleganz in seinen großen, roten Händen gehalten – und begann seinen knappen, peinlichen und höchst sachkundigen Vortrag, in dem er die Dinge mit schonungsloser, vielleicht sogar überflüssiger Offenheit beim Namen nannte, und zwar auf eine Weise, in der nur der Experte über irgendwelche Phänomene zu sprechen vermag. Gleich einleitend traf er die Feststellung, daß dieser Hund in keiner Phase seines Lebens ein Puli gewesen sei. Seine Mutter habe möglicherweise da und dort etwas mit Pulis gehabt, das könne man ja nie wissen; ja, der Kopf sei ein Puli-Kopf. Verdächtig dagegen auf jeden Fall der weiße Brustfleck, auch wenn es sich tatsächlich um einen Puli handeln sollte, aber das halte er – und er wiederholte dies mit allem Nachdruck – für ausgeschlossen. »Pulis sind schwarz oder weiß; sicher, Pulis ergrauen früh, doch Flecken haben sie nie; und wenn gelegentlich doch eine solche Fehlentwicklung auftritt, gehört sie

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