Ein Hund mit Charakter
auf, macht den verzärtelten, hilflosen Kreaturen ihre beschämende Lage klar, verweist mit wüstem Gestammel auf die Ausbeutung von unschuldigen Tieren durch die herrschende Klasse, den Menschen.
»So ein Sauvieh!« schimpft der Pfleger erbost. Mit viel Mühe gelingt es, Tschutora zu bändigen, sie binden ihm die Schnauze zu und stecken die strampelnde Bestie in den Wasserbottich. Doch nur für Sekunden taucht er in das laue Naß ein, schlagen die Fluten über ihm zusammen; als der Pfleger sich nach der Seife umwendet, schnellt er mit einem Riesensatz, den man diesem gedrungenen, unförmigen Körper gar nicht zugetraut hätte, aus dem Bottich, dem Pfleger über die Schulter und rast durch die Badestube; dabei schüttelt und schleudert er sich mit solcher Wut das Wasser aus dem Fell, daß Menschen und Tiere empört und erschrocken vor ihm fliehen. Er benimmt sich so unsäglich, daß es der Pfleger, der in diesem Metier schon manche widerborstige und wehrhafte Kreatur erlebt hat, ablehnt, die Prozedur fortzusetzen. Ungebadet und tropfnaß muß Tschutora unter Schimpf und Schande mit der Dame aus der Badeanstalt abziehen; sie steigt mit ihm schnell in ein Taxi, um dem zeternden Chor der rebellisch gemachten Hunde und den Verwünschungen des Pflegers zu entkommen …
Echauffiert und tief gekränkt berichten beide, die Dame und der Hund, daheim von den Ereignissen. Tschutora muß tagelang weiterkläffen und erleidet augenblicklich einen Tobsuchtsanfall, sobald im Bad jemand den Wasserhahn aufdreht. Mit der Zeit kommt es zu behutsamen Anspielungen, wird vorläufig ganz allgemein der Gedanke erörtert, daß man vielleicht doch Maßnahmen ergreifen müßte. Ein Entschluß ist noch nicht zur Reife gelangt, doch vom Herrn kommt gelegentlich der nicht ganz ernst gemeinte Vorschlag, Tschutora bei nächtlicher Dunkelheit wieder in den Zoo zurückzuschmuggeln.
Das ist der Stand der Dinge, als eines Tages zum Glück Besuch auf der Bildfläche erscheint: Eine rotblonde, nicht mehr ganz junge Dame konstatiert, daß der Hund neurotisch sei und von Komplexen und Hemmungen geplagt werde. Die kundige Expertin hat sich von einem der Hügel, die das Christinenviertel umgeben, herunterbemüht; dort ist sie in der zweiten Etage eines Mietshauses von Berufs wegen mit der Erforschung des menschlichen Seelenlebens befaßt, kurz: Sie ist Psychoanalytikerin. Sie wird als vorgebliche Freundin eingeschleust – die Methode hat sich offenbar bewährt –, um die Psychoanalyse im Christinenviertel unter die Leute zu bringen. Tschutora und der Herr begegnen ihr mit einhelligem Mißtrauen, denn wie man weiß, bleiben von den Bazillenträgern dieser ansteckenden Seuche weder Freund noch Feind verschont, sie tragen die gefährlichen Keime, aus denen dann Komplexe werden, selbst in die besten Familien. Kaum ist die Analytikerin in die fremde Wohnung eingetreten, da verändern sich unter dem Einfluß ihrer Anwesenheit bereits Sinn und Funktion von Gegenständen, Worten und Gesten. Es muß auch harmlosere Gemüter als die von Tschutora und dem Herrn mißtrauisch machen, mit anzusehen, wie sie den Schilderungen lauscht, wie sie eine Kreatur anschaut, wie sie mit geschürzten Lippen an der Wand einen Punkt anstarrt, indes ihr Dame oder Herr bedrückt über Tschutoras Mißstimmung berichtet, wie sie nickt, beiläufig hüstelt, dann in aller Freundlichkeit geduldig ihre Antwort formuliert und dabei den Anschein erweckt, als könne sie gar nichts überraschen, als sei sie auf genau diese Klagen vorbereitet gewesen, als kenne sie die Ursachen und wisse auch schon, wie das Übel zu behandeln wäre, könne die Lösung aber noch nicht preisgeben, bis sie nicht ausdrücklich darum gebeten werde.
»Er kläfft also?« erkundigt sie sich honigsüß und nickt mit ernster Miene. Sie will damit wohl sagen: »Ja, ja, natürlich kläfft er, genau das habe ich erwartet.« Nach einer kurzen Pause wendet sie sich an die Dame: »Hast du dich gelegentlich in seiner Gegenwart ausgezogen?« Die Angesprochene kramt verlegen in ihrem Gedächtnis, doch da mischt sich der Herr ein und berichtet, daß er sich öfter ausgezogen hat, wenn Tschutora im Zimmer war.
»Na also«, stellt die Analytikerin zufrieden fest. »Hat er Sie dann … im Schlafrock gesehen? Mehrfach? Als er noch ganz klein war? Eventuell erst ein paar Wochen alt?«
All das fragt sie leise und mit großem Ernst. Offenbar ist jedes Detail wichtig; sie will auch wissen, ob Tschutora nicht vielleicht im Bad war,
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