Ein Hund mit Charakter
müsse, von einem Tierarzt untersuchen zu lassen. Die Dame macht sich mit ihm auf den Weg zur ersten im Telephonbuch herausgesuchten Adresse und kehrt erst nach Stunden völlig niedergeschlagen zurück. Mit Ärzten – auch wenn sie ihr Handwerk verstehen – ist es wie mit Uhrmachern; wer sich einmal mit ihnen eingelassen hat, kommt nur schwer wieder von ihnen los, und man weiß nie ganz genau, was sie mit den ihnen Anvertrauten machen. Wie die Dame später berichtet, hat beim Tierarzt alles damit angefangen, daß Tschutora sich an der Schwelle zur Ordination losgerissen hat. Die Bewohner des fremden Hauses, der Arzt, die Dame und ein Postbote, der gerade vorbeikam, alle rannten dem völlig wild gewordenen Patienten hinterher, treppauf, treppab, bis ihn der Briefträger nach einer Viertelstunde zu fassen kriegte und ihn am Treppenaufgang der Dame in die Arme drückte. So konnte sie den heulenden, zappelnden und gar nicht mehr ganz federleichten Tschutora schließlich in den dritten Stock hochschleppen, ihn dem schadenfroh grinsenden, aber literarisch versierten Tierarzt vorstellen, der, wie es schien, die modernen Autoren und auch einige Werke von Tschutoras Herrn gelesen hatte, sich jedoch für den Hund nicht besonders interessierte, sondern neugierig wissen wollte, ob auch mit Literatur etwas zu verdienen sei, und wenn ja, wieviel.
Nachdem die Dame den Sachkundigen zunächst einmal mit der Behauptung zum Schweigen gebracht hat, daß ihr Mann wie einst Homer auf Straßen und Plätzen Heldenlieder zum besten gebe und dafür Naturalien kassiere, stellte sie dem Experten ein paar vorsichtige Fragen: Ob Tiere eigentlich eine Seele hätten, und wenn ja, ob diese sich verdüstern könne und ob auch Hunde trübsinnig würden. Die Antwort des Experten blieb ziemlich vage; jedenfalls hat er Tschutora vorsichtshalber gegen Tollwut geimpft. Möglich, daß Tiere eine Seele hätten, meinte er, doch dürfte dieses Exemplar nicht viel davon abbekommen haben. Mit so widerborstigen, knurrenden Kläffern, die nicht einmal einer Rasse zuzuordnen seien, sollte man sich besser nicht herumärgern, es sei schade um den Aufwand; dennoch, »was zahlen Zeitungen im allgemeinen für eine Glosse?«, begehrte er zu wissen, während er dem Tier die Injektionsnadel in den Bauch drückte. »Sicherlich weniger als für die Behandlung eines toll gewordenen Rosses«, erwiderte die Dame gereizt und schwieg, um das Erlebte zu verarbeiten. Sie nahm den zitternden und wie ein Kind heulenden Tschutora in den Arm und ging mit ihm heim. Zu Hause ließ sie sich des längeren über Ärzte, Hunde, Tierseelen und Tierärzte aus.
Tschutora liegt mit Fieber in den Augen auf seinem Kissen, lauscht dem Bericht der Dame und hebt trotz seines elenden Zustands hin und wieder den Kopf, um zu bestätigen, daß sich die Geschichte genauso und nicht anders zugetragen hat. Was wahrhaftig eine Schande ist. Der Impfstoff verursacht ihm Brechreiz, tagelang wird er mit Ei und Kognak aufgepäppelt, bevor ihn die Dame zum Baden in ein Hundebad in der Innenstadt führt – es bleibt ihr Geheimnis, wie sie auf diese therapeutische Möglichkeit gekommen ist. Tschutora tritt arglos in den von Laugendämpfen und aufreizenden Hundegerüchen erfüllten verdunkelten Raum, in aller Freundschaft und angeregt nähert er sich einem triefnassen, zitternden Foxterrier, der nach dem Bad zum Trocknen neben der Heizung steht und sich von Zeit zu Zeit hysterisch und langanhaltend schüttelt; dabei zuckt und verrenkt sich sein ganzer Körper, als hätte man ihn mit Elektroschocks traktiert. Die von allerlei Gerüchen schwangere Atmosphäre behagt Tschutora. Als ihn jedoch ein Pfleger mit höflicher Bestimmtheit packt, um ihm mit routiniertem Griff die Schnauze zuzubinden, wird er mißtrauisch, fängt verzweifelt an zu jaulen und flieht unter den Rock der Dame; sobald er erkannt hat, daß alles nichts nützt, geht er zum Angriff über. Er setzt sich mit einer solchen Wut zur Wehr, daß der Pfleger, der aufsichtführende Veterinär und alle anwesenden Hunde vor Entsetzen erstarren – der tropfnasse Foxl samt dem vornehmen und bekümmerten Dackel und einem zaundürren russischen Windspiel; sie alle stehen da, verblüfft über Tschutoras wilde Widerspenstigkeit, um dann, wie aus einer Betäubung erwachend und sich ihres schmählichen Schicksals bewußt werdend, ebenfalls in jämmerlich klagendes Geheul auszubrechen. Tschutora kreischt und hetzt wie ein wildgewordener Agitator, ruft zur Rebellion
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