Ein Jahr – ein Leben
schnell fertig werden, nicht etwas abliefern wollen, eine Figur spielen, mit der man sich bereits vor den Dreharbeiten auseinandergesetzt hat, sondern offenbleiben. Und ich musste mich mit dieser Figur sehr intensiv auseinandersetzen. Meine Mutter hat gestern Abend etwas Wunderbares gesagt, als wir nach dem Film miteinander telefoniert haben: »Ich habe während des Films immer darüber nachgedacht, Iris, und mich gefragt: Was geht wohl in dir vor, während du diesen Film drehst? Ich habe nämlich immer wieder vergessen, dass es ein Film ist. Ich dachte: Ich schaue dir und ein paar anderen Leuten beim Leben zu.«
Und das sagt Ihre Mutter.
Und das sagt meine Mutter. Natürlich sind manche Filme näher am eigenen Leben als andere, wobei man das als Schauspieler ausschalten sollte und muss. Ich kann es nur leider nicht immer. Viele Kollegen, die einen intellektuelleren Zugang zu dem Beruf haben, können das. Aber: Die Emotion ist meine Möglichkeit. Es darf nur nicht einfach die eigene Emotion sein, die man zeigt, die soll man ja beim Zuschauer auslösen. Bei diesem Fehler hat mich Matti mehrfach erwischt.
Welche Rolle spielen Sie in dem Film?
Ein Ehepaar entschließt sich, zehn Jahre nach der Scheidung ein Haus, in dem sie beide gemeinsam gelebt haben, endlich zu verkaufen. Es kostet nur Geld, steht nutzlos herum, leer, seit zehn Jahren. Die Frau, gespielt von mir, bittet ihren Exmann, am Tag vor dem Verkauf anzureisen, um in Anwesenheit eines Notars den Vertrag aufzusetzen und eventuell letzte persönliche Dinge, die noch im Haus sind, mitzunehmen. Sie reist also an, und, womit sie nicht gerechnet hat, ihr Exmann hat seine neue Frau mitgebracht, von der sie nicht wusste, dass es sie gibt. Diese neue Frau ist jünger als ich, aber sie erfüllt kein Klischee einer jüngeren Frau. Sie ist klug, selbstbewusst, ihrem Mann ebenbürtig, auch mir, der Exfrau. Ich bin irritiert, sage zu ihm: »Deine neue Flamme«, und er unterbricht mich und sagt: »Das ist nicht meine neue Flamme. Ich bin seit zwei Jahren verheiratet.«
Wie reagiert die Exfrau?
Sie will keine Emotionen zulassen.
Und er?
Er ist der typische Verdränger, am Anfang des Films auch noch ganz souverän. Die Sache eskaliert, als irgendwann der Mann auftaucht, der im Leben meiner Figur auch eine Rolle spielt. Keine sehr große, wie sich herausstellt, ich bestehe auf getrennten Wohnungen, ich bestehe darauf, dass man sich zwar von Zeit zu Zeit sieht, aber ich führe nicht dieses Familienleben, was mein Exmann neu lebt. Mit ihm habe ich zwei gemeinsame Töchter, die nicht gekommen sind. Letztlich kann man den Film auch so zusammenfassen: Es ist das letzte Gespräch zehn Jahre nach dem Ende einer Beziehung, das nie geführt wurde. Es ist eine entsetzliche Abrechnung. Es geht um zwei Menschen, die, wenn sie denn gesprochen hätten, eventuell heute noch zusammen wären.
Sie sind sehr nahe an diesen Geschichten, die Sie gerade erzählen, das merkt man.
Es gibt eine Szene in dem Film, die für mich perfekt darüber Aufschluss gibt, wann im Leben Sprachlosigkeit einsetzt, auch in der Beziehung. Ich glaube sogar, sie ist der Tod jeder Beziehung: Wenn du Dinge nicht mehr benennst. Wenn du dich nicht mehr traust zu sprechen. Wenn du die Dinge laufen lässt – und plötzlich laufen sie dir weg. In der Szene, die ich meine, packt sie ein Foto ein, und er sagt: »Darf ich mal sehen? Ach, das ist ja unser Haus und wir beide davor.« Und sie sagt: »Ja, das war damals, als dieser Mann plötzlich vor uns stand und uns fotografiert hat, und am nächsten Tag lag das Foto plötzlich in unserem Briefkasten.« »Ja«, sagt mein Exmann, »und dann hast du das Foto gerahmt und es da hingehängt, da, an die Wand.« »Nein«, sagt sie, »das hing nicht an der Wand, das stand da drüben am Kamin.« Er widerspricht: »Das hing an der Wand!« Geht dorthin, zögert, sagt: »Ich bin sicher, es hing an der Wand.«
Wie reagiert sie?
»Wenn es dich glücklich macht«, sagt sie, »dann hing es an der Wand, es ist – egal.« Er lässt nicht locker, ruft die Tochter an und will sie fragen, und noch bevor er sie erreicht, nehme ich das Bild und stelle es an den Kamin. Und als er es sieht, sagt er: »Stimmt, es stand dort, warum hast du es damals weggenommen? Du hast doch noch nie etwas in deinem Leben ohne Grund gemacht! Es muss einen Grund gegeben haben, warum du das Bild irgendwann dort weggenommen hast.« Sie tut es ab, sagt: »Bitte, das ist nur ein Bild, das bedeutet gar nichts.« Er
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