Ein Jahr – ein Leben
neuen Bundespräsidenten, Joachim Gauck. Sie sind ihm gerade erst begegnet, bei der Gedenkfeier für die Neonazi-Opfer in Berlin.
Herr Gauck hat mir vor Jahren einmal privat einen sehr feinen Brief geschrieben, als er gehört hatte, dass mich wegen meines Engagements gegen Rechts Drohbriefe und Kommentare erreichen. Begegnet bin ich ihm zum ersten Mal im vergangenen Herbst im Jüdischen Museum, bei einer Buchvorstellung von Arno Lustiger, der einen Band herausgegeben hat über die stillen Helden während des Nationalsozialismus, »Rettungswiderstand«. An dem Abend hat Gauck die Laudatio auf Lustiger gehalten, ich habe eines der Gedichte aus dem Buch vorgetragen.
Bei der Gedenkfeier kam Gauck auf mich zu, er hat gesagt, es sei schön, dass ich teilnehme. Über seine neue Aufgabe haben wir nicht geredet.
Bei der Gedenkfeier haben Sie gemeinsam mit dem türkischstämmigen Schauspieler Erol Sander gelesen.
Das Bundespräsidialamt hatte mich schon vor längerer Zeit gefragt, noch unter Christian Wulff, und ich habe ja gesagt. Es wurde dann ein anstrengender Tag. Ich bin am Vortag nachts aus Halle, wo ich eine Lesung hatte, nach Berlin gefahren und am Tag der Gedenkfeier bereits um halb sechs aufgestanden. Wir sollten früher da sein wegen der Sicherheitsvorkehrungen. Ich war also gleichermaßen unausgeschlafen und aufgeregt. Da überlegt man sich jedes Wort, was man sagt, wie man es sagt. Man weiß, da sitzen jetzt die Angehörigen der Opfer. Es wurde an diesem Tag noch einmal klar und deutlich gesagt, dass diese Familien jahrelang quasi als Täter behandelt wurden, weil die Polizei davon ausging, es seien sogenannte Milieumorde. In manchen Fällen wurde sogar ganz konkret die eigene Familie verdächtigt. Was für eine kraftvolle Rede hat Semiya Simsek, die junge Frau aus einer der Familien, gehalten! Auch Angela Merkel hat klare Worte gefunden. Natürlich hat eine solche Veranstaltung immer auch etwas von einer Demonstration. Bundespräsident, Bundeskanzlerin, das gesamte Kabinett.
Und Sie.
Ja.
Was heißt das?
Man hält mich offenbar für fähig, bei einer solchen Demonstration unseres Landes da vorne zu stehen, das Land zu repräsentieren. Ich tue mich immer noch in vieler Hinsicht schwer damit, aber die Veranstaltung war richtig, gerade weil man den Opfern Gehör geschenkt hat. Als Semiya Simsek sich selbst laut gefragt hat: »Bin ich eigentlich Deutsche, ist es mein Land?«, und geantwortet hat: »Ja, es ist mein Land«, hat sie mehr für die Integration geleistet als mancher Politiker.
Freuen Sie sich auf den Bundespräsidenten Gauck?
Er ist von Beruf Pfarrer, er wird ein Bundespräsident sein, der reden kann, der sich artikulieren kann, er wird die Leute erreichen, genau das, was ein Pfarrer auch können muss. Geprägt durch die DDR , wird er einen eigenen Stil mitbringen.
Er ist nur ein paar Jahre älter als Sie, fühlen Sie sich ihm nahe?
Ich weiß das gar nicht. Die Erwartungshaltung ist schon wieder so groß, jetzt muss er schon zwei zurückgetretene Vorgänger auffangen – welchen Spielraum wird man ihm geben? Wann wird man ihm Halbsätze vorhalten? Er wird es sich überlegt haben. Er ist ja auch ein eitler Mann. Wo nützt dir Eitelkeit? Wo kann sie dir im Weg stehen? Das sind die Fragen, die ich mir selbst auch gelegentlich stelle.
Welche Antworten haben Sie gefunden?
Bei mir ist es die Frage, wo bin ich, wann gebe ich auf, wo ist die Schauspielerin? Oder spiele ich nur noch eine Rolle? In seinem Fall wird es darum gehen, wann hat das Amt ihn – und wann ist es umgekehrt. Ich hoffe, dass er da nicht wackelt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass wir alle verführbar sind.
Wie haben Sie die vergangenen Wochen mit Gaucks Vorgänger Wulff erlebt?
Ich kenne ihn noch aus seiner Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen, ich bin ihm damals öfter begegnet. In Emden auf dem Filmfest hat er einmal eine Laudatio auf mich gehalten, ich konnte wegen Dreharbeiten in Vietnam nicht dabei sein. Aber es ist über die vergangenen Wochen und Monate schon alles gesagt worden. Beim Auslöser der ganzen Affäre, dem Kredit für sein Haus, hätte ich ihm gewünscht, dass er gleich reinen Tisch gemacht hätte: Ja, ich war pleite, ich wollte ein neues Haus bauen. Die medienübergreifende Jagd auf ihn, das Match zwischen ihm und der »Bild«-Zeitung – dass es Wulff, ohne Absicht natürlich, gelungen ist, aus »Bild« eine moralische Instanz zu machen. Ich weiß, wie das ist, wenn du von der Presse geprügelt
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