Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
„Ich glaube,
Lizzy ist weg“, raunte sie.
Entsetzt riss er die Augen auf, ließ Flo los und sprang auf.
Panisch schaute er sich um und stürzte zum Ausgang. Die Leute hinter ihnen
murrten, weil Emily auch aufgestanden war und ihnen die Sicht versperrte. Flo
war schon einige Bänke weiter Richtung Raubvögel geklettert und Emily musste
schauen, dass sie hinterherkam.
„Entschuldigung, sorry, ich muss den Kleinen da einfangen“,
stammelte sie, als sie sich einen Weg durch die sitzende Menge zu bahnen
versuchte. Sie fand Josues Reaktion wirklich übertrieben und überlegte
fieberhaft, ob sie mit Flo noch bleiben sollte oder ob sie auch zum Ausgang
gehen sollte, um Josue beim Suchen zu helfen.
Erst einmal schnappte sie Flo an der Hand, der das nicht
lustig fand, weil der Ritter der Finsternis ja fast sein Ziel erreicht hatte.
Mit einem laut schreienden Kind, das Bärenkräfte entwickelte, bewegte sie sich
auf den Ausgang zu. Sie fühlte sich wie beim Spießrutenlauf und fast schon als
echte Mutter, die von allen mit fragenden Blicken abgestraft wurde, was sie
denn ihrem Kind getan hatte.
Beim Ausgang angekommen hielt sie Flo auf Armeslänge von
sich und erklärte ihm, dass Lizzy verschwunden sei und dass der Ritter der
Finsternis jetzt hier mehr gebraucht werde, um sie zu suchen. Er solle sich
vorstellen, sie sei die verlorene Prinzessin. Mit den Raubvögeln könne er
vielleicht später noch fertig werden. Flo maulte noch ein wenig, hörte aber
wenigstens auf, so laut zu weinen, und begann sich tatsächlich suchend
umzusehen. Nirgendwo war eine Spur von Lizzy und Josue zu sehen. Emily ging mit
Flo unschlüssig ein Stück die Straße hinunter. Hatte Lizzy vor den Vögeln Angst
gehabt? Das konnte sie sich schon vorstellen. So prächtig sie aussahen, so
furchterregend wirkten sie aus der Nähe. Und einige der Vögel waren in geringer
Distanz über das Publikum gestrichen, wenn auch nicht in der Nähe von Lizzy.
Wo würde sie sich verstecken, wenn sie Lizzy wäre? Im
Märchenparadies? Aber dort würde sie vermutlich nicht hineingelassen.
Vielleicht würde sie wieder zur Endstation der Bergbahn zurückgehen, um zu
warten, bis die anderen von der Vorstellung zurückkamen?
Sie sah Josue mit irrem Blick auf sie zukommen.
Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, seine Hände bewegten sich fahrig.
Als er ihrem Blick begegnete, schüttelte er den Kopf. Sie
sagte nur „komm“ und rannte Flo hinter sich herziehend in Richtung Bergbahn.
Josue trabte hinterher und schien froh, dass sie die Führung übernahm.
An der Bergbahn angekommen, schauten sie sich um. Keine Spur
von Lizzy. Da riss Flo sich los und öffnete mit aller Kraft die Tür zu dem
kleinen Aufenthaltsraum. Dort saß Lizzy zitternd in der hintersten Ecke und
hatte die Arme um sich geschlungen. Josue stürzte an Emily vorbei durch die Tür
und ging vor Lizzy in die Knie. Sie hielten sich aneinander fest und Emily
stiegen die Tränen in die Augen. Sie begann langsam, Josues übertriebene
Reaktion zu verstehen, der einfach nicht noch einen geliebten Menschen in
seinem Leben verlieren wollte. Flo schlug sich auf die Brust. „Der Ritter der
Finsternis hat die Prinzessin gefunden.“ Emily nahm ihn auf den Arm, um ihm
einen Kuss auf die Stirn zu drücken, was er natürlich gar nicht mochte.
„Herr Ritter, Sie sind super und haben sich das größte Stück
Torte verdient, das das Café hier oben zu bieten hat.“
„Kann ich auch Pommes?“
„Klar.“
Josue nahm Lizzy auf den Arm und gemeinsam stiegen sie die
Stufen zu dem etwas in die Jahre gekommenen Café empor. Josue nickte Emily
dankbar zu, doch seine Gesichtszüge waren enorm angespannt und unter seiner
natürlichen Bräune lauerte immer noch eine bläuliche Blässe.
Emily hatte es sich nach dem aufregenden Nachmittag auf der
Greifvogelwarte gemütlich gemacht. Sie saß auf ihrem roten Sofa und schmökerte
in einem dicken Roman, da klingelte es an der Tür. Wer konnte das sein um diese
Zeit? Vielleicht Clara, oder Thorsten hatte seinen Schlüssel vergessen? Sie
drückte den Türöffner und hörte zwei Personen die Treppe hinaufkommen.
„Ruth, Gabriel, das ist ja eine Überraschung, kommt rein.“
„Wir wollen dich auch gar nicht stören“, sagte Ruth. Emily
staunte darüber, wie Ruth in den letzten Monaten, seit sie mit Gabriel zusammen
war, aufgeblüht war. Sie wirkte rosig, gar nicht mehr spröde und herb, ihre Lippen
wölbten sich deutlich sinnlicher als früher und sie hatte sich sogar
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