Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
unterhalten kann. Und schau nur, wie ich aussehe!“ Obwohl
sie sich vermutlich in Schale geworfen hatte, war sie ungeschminkt und die
Müdigkeit hatte ihr ersten Falten in Augen- und Mundwinkel gegraben.
Es klingelte kurz. Emily erhob sich, um Josue zu öffnen.
Plötzlich war es still in der Wohnung, so als hätte jemand den Feuermelder
endlich zum Verstummen gebracht. Anna fragte: „War es bei euch damals auch so
anstrengend in den ersten Wochen?“
Josues Gesicht verschloss sich. „Ich kann mich nicht
erinnern. Lizzy war ein liebes Kind, schon immer gewesen. Flo hat ab und zu
geweint, ich konnte ihn auch nicht immer beruhigen, aber bei Kathleen auf dem
Arm war er dann recht schnell wieder ruhig.“ Als er Annas Gesicht sah, schob er
schnell hinterher: „Sicher hatten wir einfach nur Glück.“ Aber es war schon zu
spät.
Anna hatte zu weinen angefangen und schluchzte: „Ich denke
manchmal, es liegt einfach an mir. Er spürt vielleicht, dass ich keine gute
Mutter bin, weil ich auch selbst noch meinen Spaß haben will.“
Emily schaltete sich ein. „So ein Quatsch. Ich denke, es tut
Kindern gut, wenn sie nicht zu jeder Zeit komplett im Mittelpunkt stehen. Und
glückliche Mütter haben doch auch glückliche Kinder, oder nicht?“
Josue sah sie von der Seite an und schwieg.
„Also gut, ich habe noch kein Kind selbst großgezogen, aber
ein Gespür, wie man mit Kindern umgeht, habe ich, glaube ich, schon“, fauchte
sie in Josues Richtung.
Anna winkte müde ab. „Lass gut sein, Emily, es wird sich
schon legen. Nächsten Dienstag haben wir einen Termin bei einer Osteopathin.
Die spüren schon die kleinsten Unstimmigkeiten in so einem winzigen Körper.
Vielleicht bringt uns das ja weiter.“
Harry kam mit einem lammfrommen Fred auf der Schulter
zurück, der rot verquollen, aber neugierig die Welt aus seinen hellen
Knopfaugen musterte. Emily sah, wie liebevoll und natürlich Harry mit Fred
umging, und sie konnte sich vorstellen, dass er eine große Entlastung für Anna
darstellte – wenn er denn anwesend war. Sie vermutete, dass sein Job auch sehr
viel Zeit in Anspruch nahm. Irgendwoher musste das Geld für die Wohnung ja
kommen.
„Ich hoffe, ihr habe auch so einen Bärenhunger wie wir.
Schreien macht hungrig, also lasst uns zugreifen, solange es so schön ruhig
hier ist.“ Er trottete voran an den Tresen. „Diese Leckereien stammen von unserer
Hafencity in Hamburg, von mir selbst im Weckglas transportiert, den Kaffee habe
ich selbst gemacht und die Brötchen sind auch selbst aufgebacken, denn man
tau.“
„Da haben Sie sich aber Mühe gemacht“, sagte Josue.
Aber Harry entgegnete nur: „Wir können uns doch duzen,
oder?“ Josue kam nicht drumherum zu nicken. Seine ganze Körperhaltung strahlte
jedoch aus, was er von Harry hielt. Emily schämte sich in Grund und Boden.
Harry wirkte vielleicht auf den ersten Blick so vierschrötig wie ein
Hinterhofdetektiv, aber er war ein herzensguter Kerl, wie sie schon mehrfach
hatte feststellen können. Sie hasste es, wenn Josue so verspannt auftrat.
„Mensch, wisst ihr, wie lange ich nichts mehr von der
Hafencity gegessen habe? Sind sie immer noch so gut?“ Sie häufte die Häppchen auf einen Teller und ließ sich so auf den
großen Teppich sinken, dass sie aus den bis zum Boden reichenden
Fenstern sehen konnte. „Ich könnte den ganzen Tag nur hier sitzen und
hinunterschauen.“ Sie würde sich dieses Treffen nicht verderben lassen.
„Ja, der Blick beruhigt, das finde ich auch. Hier schwebt
man so über den Dingen, bis einen der Kleinste von allen schnell wieder in die
Realität zurückholt“, sagte Harry. Fred war auf seiner Schulter eingeschlafen.
„Willst du ihn nicht hinlegen,“ fragte Josue.
„Sobald ich ihn ablege, schreit er voraussichtlich wieder,
also bleibt er bei uns.“
„Man kann Kinder auch schon in dem Alter verziehen“,
erwiderte Josue spitz.
„Dann ist ja gut, dass du bei deinen alles richtig gemacht
hast.“ Anna schien doch der Kragen zu platzen.
„Ich vermutlich weniger als ihre Mutter.“ Jetzt fing das
schon wieder an. Emily konnte die Beste-Mutter-aller-Zeiten-Leier nicht mehr
hören.
„Woran ist sie denn gestorben?“, fragte die direkte Anna.
Emily stockte der Atem. Josue hatte kaum je mit ihr über
dieses Thema gesprochen.
„Wir hatten einen Autounfall. Sie ist gefahren und konnte
nicht mehr bremsen. Es war wohl Aquaplaning.“
Anna nickte. „Das ist ja entsetzlich. Und die Kinder?“
„Die waren
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