Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Schlafzimmer. Dann gab sie den Kindern ihre jeweilige
Bestellung und strich sich selbst ein Marmeladebrötchen, das sie schnell mit
einer Tasse Kaffee verschlang. Um zehn vor neun kam Josue im Bademantel ins
Wohnzimmer und schaute sich desorientiert um. Sie trat zu ihm und gab ihm einen
Kuss auf die Wange. Er roch wieder wie immer und hatte sich sogar rasiert.
„Kommst du klar? Ich muss los, die Alten warten.“ Er nickte
stumm und setzte sich an seinen Platz. Bevor die Wohnungstür ins Schloss fiel,
hörte sie noch ein leises „Danke, Emi“. Sie lächelte und trat in die Pedale.
Inzwischen regnete es. Na prima, welch ein Tag, dachte sie.
Nach der Arbeit im Altenheim konnte sie es nicht über sich
bringen, direkt zu Josue zu fahren. Sie war zwar nicht konfliktscheu, wusste
aber, dass sie für die anstehende Auseinandersetzung viel Kraft benötigen
würde. Die hatte sie gerade nicht nach dem anstrengenden Arbeitstag. Nach Hause
wollte sie auch nicht. Da wartete nur ein leeres Zimmer und ihre
Studienunterlagen auf sie. Thorsten war vermutlich bei Nadine, wie so oft am
Wochenende. Sie überlegte. Dann trat sie in die Pedale und schon war sie
unterwegs nach Handschuhsheim. Vor dem weißen Haus machte sie Halt und
klingelte bei Frieda Vogel. Sie hatten einige Mittwoche zusammen verbracht und
zu einem Einvernehmen gefunden, als wenn sie sich schon seit Jahren kennen
würden.
„Ja, wer ist da?“, meldete sich Friedas klare Stimme.
„Ich bin’s Emily. Kann ich raufkommen?“
„Das ist ja eine schöne Überraschung. Bitte kommen Sie
rein.“
Es tat Emily so gut, dass sie sich willkommen fühlte.
Langsam stieg sie die Treppe hoch. Oben öffnete ein junger Betreuer, den sie
noch nicht kannte. Sie streckte ihm die Hand entgegen.
„Hallo, ich bin Emily. Ich treffe mich regelmäßig mit Frau
Vogel und wollte einfach mal vorbeischauen.“ Frieda kam schon angesurrt mit
ihrem Rollstuhl. Emily beugte sich hinunter, roch ihren feinen Duft und umarmte
sie vorsichtig.
„Ich freue mich, dass Sie mich besuchen. Gerade dachte ich,
ich könnte ein wenig Gesellschaft vertragen. Kevin ist heute wenig gesprächig.“
Besagter Kevin zog seinen Nintendo-DS aus der Tasche und setzte sich sichtlich
erleichtert mit seinen Ohrstöpseln in die Ecke.
„Emily, möchten Sie uns vielleicht eine Tasse Tee machen?
Tobi hat gestern Shortbread gebacken, das ihm richtig gelungen ist, das können
wir dazu verspeisen.“
„Das wäre genau das, was ich gerade brauchen könnte“,
seufzte Emily. Frieda Vogel sah sie prüfend an. „Ich decke so lange den Tisch“.
Emily ging in die rollstuhlgerecht umgebaute Küche und setzte Teewasser auf.
Sie lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und sah aus dem Fenster, bis das Wasser
kochte. Noch hingen einige Blätter und Äpfel im Baum hinter dem Haus. In der
Ferne sah sie die braungefärbten Bergstraßenhügel. Der trübe Oktobertag passte
so richtig zu ihrer Stimmung. Sie legte einige Shortbreads aus der Dose auf ein
Tellerchen mit blauem Zwiebelmuster, das sie plötzlich so sehr an Norddeutschland
erinnerte, dass sie ein Ziehen in der Brust verspürte. War das Heimweh? Dann
war es das erste Mal, dass sie es in Heidelberg verspürte.
Sie trug die zierliche Teekanne und den Teller ins
Wohnzimmer an den runden Tisch neben dem Flügel. Frieda saß schon erwartungsvoll
da und hatte sogar eine Kerze angezündet.
„Sie haben heute gearbeitet, nicht wahr?“ eröffnete sie das
Gespräch. Emily lächelte schief.
„Drei Stunden kürzer als sonst, aber ja, es gab auch da noch
genug zu tun. Von Herrn Dimpfelmoser habe ich Ihnen ja schon erzählt. Wir
hatten wieder einen Kampf, bis er seine Unterwäsche gewechselt hat. Aber einmal
in der Woche muss das einfach sein. Er denkt immer, wir würden sie postwendend
an den FBI schicken und unbemerkt neue kaufen.“
Frieda Vogel lächelte.
„Wie geht es Ihnen?“, fragte Emily.
„Ja, es geht. Das nasskalte Wetter ist nicht so gut für
mich, aber ich habe es ja hier gemütlich. Kevin ist manchmal eine Nervensäge.
Ich glaube, er macht diesen sozialen Dienst nicht gerade freiwillig, und das
merkt man ab und zu. Aber sonst ist er ein feiner Kerl. Er hat meinen
Lattenrost repariert, der wieder herausgesprungen war. Aber wollen Sie nicht
erzählen, was Ihnen auf dem Herzen liegt, meine Liebe?“
Emily nickte und merkte, wie es in ihren Augen zu brennen
begann. Dann erzählte sie von ihrem Kummer mit Josue. Dass sie Angst davor
hatte, dass er richtig depressiv
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