Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
oder vielleicht sogar alkoholabhängig war und
sie es bisher nicht gemerkt hatte. Sie erzählte von den Kindern, die so dankbar
waren, als Emily wieder ein bisschen Ordnung in die Familie gebracht hatte, und
wie lieb sie sie hatte. Und sie wunderte sich auch darüber, dass sie Josue
selbst in seinem heruntergekommenen Zustand, wie er da auf der Couch lag, immer
noch so geliebt hatte. Frieda Vogel hörte zu und gab nur ab und zu kleine
ermunternde Laute von sich, bis Emily schwieg und sich ganz leer vorkam.
Dann legte sie ihre zarte Hand auf Emilys Wange, was eine
Weile dauerte, weil es nur so langsam ging. „Kind, da haben Sie sich ein Leben
ausgesucht, um das ich Sie nicht beneide.“ Emily nickte und konnte nun nicht
mehr verhindern, dass heiße Tränen auf Friedas Hand tropften. „Kevin“, sagte
Frieda laut, um die Spielgeräusche des Nintendo zu übertönen. „Bring uns doch
bitte ein Päckchen Taschentücher.“ Etwas unwillig brachte Kevin das Gewünschte
und trollte sich dann wieder. Emily packte dankbar ein Taschentuch aus. Warum
hatte sie aber auch nie Taschentücher dabei, wenn sie welche brauchte?
„Ich glaube, Sie sollten bald los, denn Sie haben heute noch
einiges zu bereden. Aber ich habe mich sehr gefreut, dass Sie zum Tee
vorbeigekommen sind.“
„Unser Tee ist ganz kalt geworden. Jetzt trinken wir
wenigstens noch ein frisches Tässchen, bevor ich gehe.“ Emily leerte die beiden
Tassen in der Küche aus und goss ihnen beiden noch einmal ein. Emily nahm sich
gedankenverloren ein Shortbread, dessen leicht salzigen Geschmack sie so
mochte.
„Wissen Sie was, mein Fahrrad hat ganz von allein den Weg zu
Ihnen eingeschlagen, ist das nicht sonderbar?“
Frieda lächelte geheimnisvoll. „Vermutlich hat es gehört,
dass ich nach ein wenig Gesellschaft gerufen habe heute Nachmittag.“
„Ich hoffe, ich belaste Sie nicht zu sehr mit meinen
Geschichten. Sie haben ja schon genug eigene Sorgen.“
„Im Gegenteil. Sie schenken mir das Gefühl, noch ein wenig
gebraucht zu werden. Das macht mich lebendig, wissen Sie.“
Emily nickte dankbar. Dann stand sie auf, verabschiedete
sich und rollte schweren Herzens Richtung Weststadt. Am Ende der Burgstraße
rief es plötzlich „Emily!“. Sie schaute auf und sah David mit einer
Einkaufstüte aus einer Seitenstraße kommen. Wild quietschend bremste sie. Sie
umarmten sich und musterten sich beide verstohlen.
„Mit Verlaub, du siehst ein wenig mitgenommen aus“, sagte
David.
„Danke, sehr charmant.“
Er sah sie besorgt an.
„Gut, dass ich dich treffe“, lenkte Emily ab. „Ich wollte
dich schon die ganze Zeit anrufen, ob wir nicht zusammen was trinken gehen
wollen? Hast du Lust?“
David schenkte ihr einen seiner unergründlichen Blicke.
„Ich, Lust? Aber immer. Ich dachte, du bist zu beschäftigt,
um dich an den alten David zu erinnern.“
„Na ja, du hättest dich gerne einfach mal melden können,
wenn du Sehnsucht hattest.“
„Also, wann und wohin gehen wir aus?“, fragte David.
„Wie wär’s mit Mittwochabend. Da bin ich sowieso in
Handschuhsheim und wir können uns gleich hier treffen. Hier gibt’s doch so
viele urige Gasthöfe.“
„Gut. Wir beginnen im Löwen, machen weiter im Ochsen und
enden im Lamm, ok?“
„Und du bist eingeladen, denn wir müssen meine erste
Stadtführung feiern.“ Emily ahnte, dass David knapp bei Kasse war. „Also bis
dann, ich muss los“ und das Gespräch hinter mich bringen, dachte sie. Sie gaben
sich noch ein Küsschen auf die Wange. Emily atmete dabei heimlich etwas tiefer
ein. Ja, da war er wieder, dieser unnachahmliche David-Geruch. Sie schwang sich
in den Sattel und fuhr nun endgültig in die Weststadt.
Sie klingelte und Josue öffnete ihr mit einem unsicheren
Lächeln. Emily küsste ihn auf die Wange.
„Komm rein. Die Kinder sind schon im Bett.“ Er schien sie
erwartet zu haben. Auf dem Tisch beim Sofa standen zwei Gläser, Wasser und Saft
und ein paar Salzstangen zum Knabbern.
„Hast du schon was gegessen?“, fragte er.
Emily schüttelte den Kopf. „Ich kann mir später ein Brot
machen. Jetzt lass uns erst reden, ja?“ Sie sah an der Art, wie er seinen Hals
am Hemdkragen schabte, dass er darauf gar keine Lust hatte, aber wat mut, dat
mut, hatte ihre Großmutter immer gesagt. Sie setzte sich und zog ihn neben sich.
Dann legte sie ein Bein über sein Bein. Brav nahm er ihren Fuß in die Hand und
knetete ihn ein wenig, so wie sie es mochte. Dabei starrte er die Salzstängchen
so
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