Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Butter den Mundwinkel hinunterlief. David wischte sie mit seinem Daumen weg, ehe sie
zu einer Serviette greifen konnte, und leckte dann aufreizend seinen
Finger ab. Emily wurde es ganz warm. Puh, sie musste aufpassen, dass es ihr
hier nicht zu wohl wurde. David hatte bereits eine neue Runde Wein bestellt. Er
zeigte ihr einen Bierdeckeltrick, den Emily nun übte. Dabei zeigte ihre Zunge
zwischen den Lippen die Richtung wie bei Flo, wenn er sich konzentrierte, und
David amüsierte sich königlich darüber.
„Jetzt könntest du mir ja langsam verraten, wo du wohnst, du
alter Streuner?“, fragte sie schon mit ein wenig schwerer Zunge.
„Nun, hier in Handschuhsheim. Hast du das nicht gewusst?“
„Ich habe es vermutet, aber du hast immer so ein Geheimnis
darum gemacht, deswegen wusste ich es nicht genau.“
„Wenn du brav bist, zeige ich es dir vielleicht nachher.“
Sie stieß ihn in die Rippen. „Ich bin immer brav. Vermutlich
ist das das Problem.“ Sie schaute ihn herausfordernd an. „Du bist kein Braver,
oder?“
David nickte leicht bedauernd, aber auch ein wenig amüsiert.
„Aber glaube mir, es ist auch nicht immer leicht, nicht als brav zu gelten.
Wenn du einmal den Ruf weghast, kommst du schwer wieder rein.“
„Worein denn?“
„Ich weiß auch nicht. Ins normale Leben, in die
Gesellschaft, in die Anerkennung der anderen. Quoi qu’il en soit.“ Er zuckte
mit den Schultern.
„Was war das?“
„Oh, eine französische Redewendung.“
„Kannst du gut Französisch?“
„Ich denke schon.“ Er lächelte. „Und du?“
„Weiß nicht, habe es lang nicht mehr geübt. Wollen wir noch
weiterziehen, bevor ich nicht mehr laufen kann, oder möchtest du hierbleiben?“
„Mir gefällt’s gerade hier mit dir“.
„Also bleiben wir.“
Emily bestellte noch eine Runde. Plötzlich musste sie ohne
Grund so lachen, dass sie nicht mehr aufhören konnte, und sie merkte, wie die
Spannung der letzten Wochen nach und nach von ihr abfiel. David schaute sie
erst verwundert an, dann lachte er mit – und er hatte so ein herzerfrischendes
Lachen, dass alle Gäste sich nach ihnen beiden umdrehten, teils verärgert,
teils schon angesteckt von der Lacherei.
„Komm, ich glaub, ich muss raus und mich abkühlen“, prustete
Emily. Immer noch lachend bezahlte sie und David führte sie am Arm auf die
Straße, wo sie schwer atmend ihre Hände in die Seiten stütze, denn sie hatte
Seitenstechen bekommen.
Der Oktober war erstaunlich schön dieses Jahr. In der kühlen,
aber nicht zu kühlen Nachtluft beruhigte sie sich langsam.
„Und nu?“ fragte sie dann.
„Wenn du magst, zeige ich dir, wo ich wohne. Aber du musst
versprechen, es wirklich nicht weiterzuerzählen.“ Emily nickte. In ihrem
Zustand würde ihr vermutlich morgen sowieso alles wie ein Traum vorkommen.
„Na dann, komm.“ Emily hakte sich bei David unter und
gemeinsam gingen sie an der Tiefburg vorbei Richtung Burgstraße. Emily fühlte
ein kühles Lüftchen auf ihren erhitzten Wangen und dachte kurz an Josue, was er
wohl sagen würde, wenn er sie hier so sähe. Sie zuckte die Schultern, fühlte
die Wärme von Davids Arm und bemühte sich, die Füße auf eine imaginäre Linie zu
setzen, um sich zu beweisen, dass sie nicht betrunken war. Sie gingen am Haus
vorbei, in dem Frieda Vogel wohnte. Emily erzählte von ihr. David hörte
aufmerksam zu. Er glaubte, Frieda zu kennen. Bis vor ein paar Monaten war sie
noch mit einem Rollator durch Handschuhsheim gefahren. Sie war ihm dadurch
aufgefallen, dass sie so freundlich und unbekümmert mit den Leuten geplaudert
hatte. Emily überlegte, ob es möglich wäre, dass David sie mal kennenlernen
könnte. Bei Josue war ihr der Gedanke nie gekommen.
Inzwischen waren sie in den Hilzweg eingebogen. Die
Grabsteine des Herrn Mathes warfen lange Schatten. Bald ließen sie den Zipfel
des Friedhofs rechts liegen.
David sagte: „Ich sollte
dir jetzt die Augen verbinden, wie in den schlechten Filmen. Aber das lassen
wir heute ausnahmsweise.“ Er führte sie einen größeren Weg rechts herum, sie
bogen links in eine Art Hohlweg ein, dann ging es noch um ein paar Ecken.
Überall gab es kleine Gärten. Schrebergarten war vielleicht nicht der richtige
Ausdruck dafür. Es waren eher Obstgärten. Teilweise gepflegt, teilweise
schienen sie schon ewig brachzuliegen, soweit Emily in der Dunkelheit etwas
erkennen konnte. Sie stolperte durch aufgeweichte Erde. Einen Weg konnte man
hier nur noch erahnen. Es roch modrig und langsam
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