Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Hände in seine. „Und ich liebe
dich, Emily.“ Emily erstarrte. War das sein Ernst?
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Nun konnte
sie einige Blicke und Bemerkungen ihrer letzten Begegnungen viel besser
einordnen. Zum Beispiel seinen abweisenden Gesichtsausdruck, wenn sie von ihrem
Glück mit Josue erzählte. Oder die Situation, als seine große Zehe ihren Fuß
gestreichelt hatte, das war so unendlich zärtlich gewesen. Hatte er sich auch schon
bei ihrem Ausflug zur Thingstätte verliebt? Nein, sicher nicht, da hätte er ja
wenigstens noch was sagen können. Aber vermutlich hätte das nichts genützt. Sie
hatte ihn als Mann bis jetzt nie sonderlich ernst genommen. Er war mehr wie ein
großer Bruder oder guter Freund gewesen.
„Oh“, sagte sie nur ,„das wusste ich nicht.“
„Jetzt weißt du es. Und ich werde es dir immer und immer
wieder sagen, so lange, bis du mir ganz klar sagst, du liebst mich nicht“,
sagte er eindringlich und ein wenig trotzig. Dann griff auch er zu einem
Brötchen, strich sich ein wenig Honig drauf, ließ es aber doch auf dem Teller
liegen.
„So ein Schlamassel“, sagte Emily kopfschüttelnd. Sie
schüttelte die Krümel von ihrem Wollpulli und wünschte sich, damit wäre wieder
alles in Ordnung. „Ich muss gehen.“ Es war alles so verwirrend, sie hielt es
jetzt keine Sekunde länger hier aus.
David drängte sie Gott sei Dank nicht dazubleiben. „Ich
bring dich noch raus.“
Emily zog hastig ihre Jacke und die dreckverkrusteten Schuhe
an, die neben der Tür standen. David schlüpfte in ein paar Gummistiefel und so
stiefelten sie über die Wiese. Der Nebel hatte sich schon fast aufgelöst und
Emily dachte darüber nach, wie spät es wohl sein mochte. Am Gartentor streckte
David vorsichtig die Nase nach rechts und nach links.
„Die Luft ist rein, du kannst gehen. Oder soll ich dich bis
zum Friedhof begleiten?“
Emily schüttelte heftig den Kopf. „Ich denke, ich finde den
Weg.“ Da war sie sich überhaupt nicht sicher. Aber sie war sich sicher, dass
sie jetzt auf der Stelle alleine sein musste.
„David, danke für alles.“
Er schaute sie wehmütig an. „Ich danke dir, meine liebe
Emily.“ Dann drückte er sie mit so viel Gefühl, dass Emily wieder einmal fast
die Tränen kamen. Schnell drückte sie ihm einen Kuss auf die warme, stoppelige
Wange und wandte sich nach rechts.
„Links geht’s lang und – auf Wiedersehen“, sagte er noch.
Sie wechselte die Richtung ohne ihn eines weiteren Blickes
zu würdigen. Sie rannte fast. So schnell wollte sie hier weg. Dabei stolperte
sie über verrottende Grasbüschel und riesige Maulwurfshügel und wusste schon nach
der zweiten Biegung nicht mehr, wo sie war. Sie hielt sich hangabwärts,
allerdings gab es keinen Weg mehr. Da schlug sie sich über die zugewucherten
Grundstücke. Ihre Hosenbeine blieben in Brombeerdornen hängen. Sie fluchte und
riss sich die Hände auf, als sie über einen kleinen Zaun kletterte. Der Boden
war von Wildschweinen zerwühlt. Das würde ihr jetzt gerade noch fehlen, so ein
braunes Waldmonster, aber sie verließ sich darauf, dass Wildschweine
nachtaktive Tiere waren, wie sie mit Flo und Lizzy neulich im Spiel „Können
Schweine fliegen?“ gelernt hatte.
Flo und Lizzy. Wie sollte sie ihnen jemals wieder unter die
Augen treten? Kinder spüren doch alles. Sie beschloss, sie nicht mehr heute zu
sehen, sondern erst einmal ihre Gedanken zu ordnen.
Nun befand sie sich in einer Sackgasse, an allen drei Seiten
ragten hohe Zäune gepflegter Gärten auf. Also, wieder zurück und einen neuen
Weg suchen. Ihre Jeans war zerrissen, die Originalfarbe ihrer Stiefel ließ sich
nicht mehr erkennen, als sie schließlich eine kleine Teerstraße fand, der sie
nach links folgte. Du bist so eine Idiotin, zeterte sie mit sich. Aus einer
Laune heraus gehst du mit David ins Bett. Doch es war wirklich wunderschön
gewesen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, schon jemals so guten Sex gehabt
zu haben. Und er liebte sie. Also hatte sie ihn mit dieser Aktion vermutlich
auch noch verletzt.
Clara ging ihr durch den
Kopf. Sie musste dringend mit Clara reden. Nein, diesmal nicht. Nicht immer die
arme Clara. Frieda Vogel, könnte sie sich bei ihr ausweinen? Nein, nicht schon
wieder. Sie hatte sie ja gerade schon überfallen und sie mit ihren Sorgen
belästigt. Also gut, Emily Neumann. Diesmal wirst du selbst mit der Sache
klarkommen. Heute Abend gehst du zu Josue und sprichst dich aus, basta. Sie seufzte.
Na,
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