Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
dann war ja alles klar. Aber was würde sie mit dem Tag anfangen? An
Studieren war nicht zu denken. Schon wieder ein Fehltag. Sie würde Herrn
Hirzel, i hren alten Nachhilfelehrer, spazieren
fahren. Das hatte sie ihm schon so lange versprochen. Und ein bisschen
Gesellschaft würde ihnen beiden guttun. Bei ihm kam sie voraussichtlich nicht
in Versuchung, von ihrem Liebeskummer zu erzählen. Aber jetzt musste sie
dringend nach Hause unter die Dusche und ihre Klamotten wechseln, damit sie
sich wieder wie ein normaler Mensch vorkam.
Emily machte sich sehr sorgfältig vor dem Spiegel zurecht.
Das kleine Bad starrte vor Dreck. Emily war sauer auf Thorsten, der es meistens
ihr überließ, hier Ordnung zu schaffen. Wer machte überhaupt bei Josue sauber?
Sie hatte ihn noch nie putzen sehen. Bad und Gästetoilette und Küche blitzten
aber immer, na ja, immer bis auf neulich. Sie hatte sich gefreut, als sie einen
Anruf auf ihrer Sprachbox vorgefunden hatte. Josue wollte sie gerne heute Abend
sehen und ihnen eine Kleinigkeit kochen. Das hatte er bisher sehr selten getan.
Gleichzeitig hämmerte ihr schlechtes Gewissen gegen ihre Schläfen. Tatsächlich
hatte sie inzwischen mörderische Kopfschmerzen. Noch war sie völlig ratlos, wie
sie das Gespräch führen sollte.
Um Punkt acht Uhr stand sie vor der Haustür in der Weststadt
und klingelte. Ihre Beine wurden schwer, als sie die Treppe hochstapfte. Kaum
hatte ihr Josue die Wohnungstür geöffnet, stürmte auch schon ein kleines
Lockenbündel auf sie zu und drückte sie fest. „Emily, wo warst du so lange?“
Auch Lizzy kam etwas langsamer heran, aber sie drückte Emily
ebenfalls, worüber sie sich besonders freute.
„Ich dachte, ihr seid schon im Bett?“
„Wir wollten noch auf dich warten“, sagte Lizzy. Jetzt erst
sah Emily Josue an. Sie berührten sich nicht. Er zuckte verständnisheischend
mit den Schultern und lächelte sein schiefes Lächeln.
„Soll ich die Kindern noch eben ins Bett bringen?“, fragte
sie. Er nickte und Emily trottete mit beiden an der Hand zuerst in Lizzys
Zimmer, um noch das Märchen von der Gold- und der Pechmarie vorzulesen, das sie
neulich angefangen hatte. Dann strich sie Lizzy die Locken zurück und trug den
schlafenden Flo in sein Zimmer.
Die Dielenböden knarrten leise, als Emily ins Wohnzimmer
trat. Josue saß auf seinem Stammplatz.
„Die Kinder haben dich vermisst“, sagte er.
„Ich sie auch“, flüsterte Emily.
„Und ich, ich habe dich auch vermisst“, flüsterte er zurück.
Und er sah sie mit einem so treuen Hundeblick von unten an. „Es tut mir leid,
wie ich mich in Hamburg benommen habe. Ich weiß auch nicht, was in mich
gefahren ist. Und ich war ein verantwortungsloser Trottel, mich so zu
besaufen.“ Er zog sie zu sich runter, hielt ihre beiden Hände fest und sah ihr
in die Augen. Emily bemerkte erneut das gleichmäßige Pochen unter seinem linken
Augenlid.
„Emily, ich will dich. Bitte vergiss, was ich bei unserem
letzten Gespräch für einen Schwachsinn erzählt habe.“ Er nahm ihr Gesicht in
seine großen, schlanken Hände und wollte sie küssen. Emily versteifte sich und
berührte seine Lippen nur flüchtig. Sie machte sich los, seufzte und nahm all
ihren Mut zusammen.
„Josue, ich muss dir was sagen.“
Ein kleiner Schatten huschte über sein Gesicht, als er
erschrak. „Schieß los, es scheint ja was Ernstes zu sein, so wie du guckst.“
„Ich bin gestern mit einem anderen Mann abgestürzt und habe
mit ihm geschlafen.“ Emily versuchte, ihm tapfer in die Augen zu schauen. Jetzt
war es heraus. Jetzt würde sich entscheiden, ob ihre kleine neue Welt
zusammenbrechen würde. Es sah sie einen Moment ausdruckslos an, dann erschien
ein leicht verächtlicher Zug um seine Mundwinkel. „War es schön?“
Emily nickte widerstrebend.
„Dann ist ja gut.“
Beide schwiegen. Was war denn das für eine Reaktion? Sollte
er jetzt nicht wütend, eifersüchtig oder sonstwie aufgebracht sein? Sie schaute
ihn verwundert an. Sie schluckte, bevor sie die Frage aussprechen konnte:
„Findest du das nicht schlimm?“
Er legte seine warme Hand auf ihre Knie. Sie wurde ganz
erregt, so unpassend das jetzt war. Den ganzen Tag schon hatte sie alle
Sinneseindrücke viel stärker aufgenommen als sonst, als hätte sich bei ihr
einige zusätzliche Kanäle geöffnet. Sie sah, dass er nach Worten suchte.
„Natürlich finde ich es nicht toll. Aber sagen wir, ich kann
es verstehen. Wir hatten Streit, und im Bett konnte ich dir
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