Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
die
langgestreckte Bücherwand. Und während er langsam sein Unterhemd über die
faltige Brust zog, studierte sie die einzelnen Titel.
„Interessieren sie sich für Bücher?“, fragte Herr Hirzel.
„Ja, natürlich. Das scheinen mir aber viele
wissenschaftliche Werke zu sein. Waren Sie an der Uni tätig?“
„Stellen Sie sich vor, in einem anderen Leben lehrte ich
hier in Heidelberg Soziologie.“
„Nein, das ist nicht wahr.“
„Aber warum denn nicht, mein Fräulein, ist das so abwegig?“
„Entschuldigen Sie, ich habe mich nur gewundert, weil ich
auch Soziologie studiere.“
Sie kamen ins Gespräch
über einige Professoren, die Herr Hirzel auch noch kannte. Emily vergaß
fast, ihm sein Frühstück zu bringen. Bohni klopfte und erinnerte sie dezent an
ihre anderen Schützlinge, die auf das Frühstück warteten.
Emily nahm all ihren Mut zusammen. „Wäre es möglich, dass
ich Sie ab und zu fragen kann, wenn ich etwas nicht verstehe. Es gibt viele
Texte, die sind einfach so kompliziert? Natürlich außerhalb meiner
Arbeitszeit.“
Herrn Hirzels Augen leuchteten auf. „Aber gerne, es wäre mir
eine große Freude. Auch in einem hinfälligen Körper kann noch ein neugieriger
Geist wohnen, wissen Sie. Sie würden mir damit sogar einen Gefallen tun.“
Emily nickte glücklich und verabschiedete sich zu den
anderen Bewohnern.
Lieber Josue ,
nein, sie kaute an ihrem Bleistift, Lieber
Unbekannter , das stimmte nun auch nicht mehr ganz. Vielleicht
einfach Hallo , nun, das
war zu nichtssagend. Also, die Anrede verschieben wir auf später, dachte Emily.
Sicher wundern Sie
sich, Post von einer unbekannten Person zu erhalten , schon wieder
dieses „unbekannte“, vielleicht eher „fremd“.
Es tut mir leid,
dass ich Sie auf diesem Wege belästigen muss. Entschuldige dich
niemals im Voraus für etwas, dass du gar nicht so meinst, erinnerte sie sich an
die Weisheit aus einem Selbstmanagement-VHS-Kurs von vor einigen Jahren, das
kommt immer unsicher rüber, hatte der flotte Trainer damals erklärt, schon gar,
wenn du eine Frau bist.
Hallo, hier
spricht Emily. Nein, die Stimme aus dem Off sollte es auch nicht
gerade sein. Darf ich mich Ihnen
vorstellen, mein Name ist Emily und ich habe mich in Sie verliebt. Kurz, knapp und auf den Punkt gebracht, warum nicht? Seit ich Ihnen das erste Mal begegnet bin, ist es um mich
geschehen. Sie haben mein Leben durcheinandergewirbelt. Tag und Nacht muss ich
an Sie denken und habe schon viel mit Ihnen in meinen Träumen erlebt. Das ging dann vielleicht doch zu weit? Also Tag
und Nacht muss ich an Sie denken. Ich würde Sie so unglaublich gerne
kennenlernen, um ...? Nein, das „um“ lassen wir doch lieber weg an
dieser Stelle, das würde sich dann hoffentlich ergeben. Sie konnte ihm ja
schlecht erzählen, dass sie ihre Phantasiewelt mit der Realität konfrontieren
wollte, um endlich ihre Seelenruhe wiederzugewinnen, und dass er ihr dabei
behilflich sein musste.
Vielleicht sollte sie sich einfach kurz vorstellen,
sozusagen der kleine Auftakt zu einem richtigen Bewerbungsgespräch, das dann
hoffentlich bei einem echten Treffen stattfinden würde. Bewerbungsgespräch?
Tickst du noch ganz richtig, Emily? Du wünscht dir, dass er dich sofort in
seine Arme schließt, nicht dass er anstrengende Gespräche mit dir führt, in
denen du dich erst profilieren musst! Trotzdem will man doch zumindest einige
kurze Informationen geliefert bekommen, bevor man sich entscheidet, sich auf
ein kleines Treffen mit einer unbekannten Person einzulassen.
Ich lebe seit
einigen Monaten in Heidelberg und studiere Soziologie. Vorher war ich Optikerin,
brauchte aber eine Luftveränderung. In die Stadt Heidelberg habe ich mich
spontan verliebt. Nein, streichen wir das. Sonst denkt er ja, ich
verliebe mich in alles und jeden. Auch wenn es stimmte, zuerst hatte sie sich
in Heidelberg verliebt und dann in Josue.
Ich lebe erst seit
einigen Monaten in Heidelberg und studiere Soziologie und bald Ethnologie.
Derzeit genieße ich es, in meiner Freizeit die Stadt zu erkunden. Ihren vorherigen Beruf ließ sie weg, der hörte sich so spießig an, auch wenn er
zu ihr gehörte wie ihre rechte Hand. Der zweite Satz gefiel ihr, so konnte sie
auch begründen, warum sie immer wieder an den verschiedensten Stellen
auftauchte. „Ansonsten halte ich mich für einen ausgeglichenen und fröhlichen
Menschen. Auch wenn mir gelegentlich Missgeschicke passieren, zieht mich das
nicht lange runter.“
Sollte sie andeuten,
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