Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
hingelegt.“
„Abends um acht Uhr?“
„Im Bett ist die Verletzungsgefahr am geringsten.“ Emily
lief es kalt den Rücken hinunter. Ihr Vater packte ihre Mutter wie ein kleines
Kind um acht Uhr ins Bett, nur damit sie sich keine Knochenbrüche zuzog, das
konnte jetzt nicht wahr sein.
„Aber ihr habt ihr doch einen Hüftprotektor gekauft, zumindest
wolltet ihr das.“
„Nun, das ist auch nur ein Teilkörperschutz.“
„Ist denn, seit ich euch
besucht habe, nochmal etwas passiert?“
„Nein, Gott sei Dank nicht, aber eben nur, weil ich so gut
aufgepasst habe.“
„Und was sagt Mama dazu?“
Schweigen am Ende der Leitung. „Sie sagt nicht sehr viel,
Emily.“
Emily hörte einen leicht verzweifelten Unterton in der
Stimme ihres Vaters. Sie raufte sich die Haare. „Papa, vielleicht gibt es einen
Zusammenhang zwischen dem, wie du sie in Watte packst, und dem, dass sie nicht
mehr viel reden will. Sie war schon immer ein eigenständiger Mensch und hat
alles gemacht, während du den ganzen Tag in der Praxis warst, weißt du?“ Sie
hörte ihn atmen. „Vielleicht ist ein weiterer Knochenbruch weniger schlimm, als
wenn sie sich jetzt schon vom Leben verabschiedet“, sagte Emily und wusste in
dem Moment, dass sie die Wahrheit aussprach.
„Liebe Tochter, Ratschläge aus der Ferne sind ja schön und
gut, aber wir müssen hier im Alltag miteinander zurechtkommen.“ Ihr Vater klang
verletzt.
„Papa, ich weiß doch, dass du es gut mir ihr meinst. Ich
glaube nur einfach, wenn du Mama weiterhin als Partnerin willst, darfst du sie
nicht so bevormunden. Du bist doch der Fachmann!“
„Eben“, sagte ihr Vater und legte auf.
Emily zog die Knie an und schlang die Arme darum, dann
knibbelte sie seitlich an ihrem Daumennagel. Sie fühlte sich so elend. Überall
nur Beziehungsprobleme, das ist doch wirklich eine verrückte Welt. Aber sie
hatte keine Idee, wie sie ihren Eltern aktuell helfen konnte. Sicher, sie hätte
jetzt alle Zelte in Heidelberg abbrechen und sich darum kümmern können, dass
sie zum Wintersemester einen Studienplatz in Hamburg bekam. Aber das, was dann
auf sie zukommen würde, bereitete ihr bereits beim Gedanken daran
Magenschmerzen. Sie würde mehrmals die Woche bei ihren Eltern vorbeigehen. Sie
würde sich als Vermittlerin zwischen sie stellen und versuchen, es jedem recht
zu machen, und ihr eigenes Leben auf unabsehbare Zeit hinten anstellen. Wollte
sie das und war das ihre Aufgabe? Sie schüttelte sich und dachte trotzig, nein,
nein, nein. So ist das auch nicht gedacht mit den Eltern und den Kindern. Auch
wenn sie gerade in dem Roman einer Iranerin gelesen hatte, dass dort die
älteste Tochter gar nicht heiraten durfte und selbstverständlich davon
ausgegangen wurde, dass sie ihr Leben der Pflege ihrer Eltern widmete. Sie war
hier nicht im Iran und sie hatte genug Ärger mit ihrem eigenen Leben.
Vielleicht könnte sie Ruth vorbeischicken, dass sie nochmal mit ihren Eltern
sprach. Solche Sachen konnte sie wirklich gut.
Es klingelte an der Wohnungstür. Emily lauschte, ob Thorsten
da war, das schien nicht der Fall zu sein. Seufzend ging sie zum Türöffner und
drückte. Während schwere Schritte die Treppe hochkamen, durchzuckte sie eine
Vorahnung: Oh nein, doch nicht Gabriel! Das hatte ihr heute Abend gerade noch
gefehlt!
Sie öffnete die Tür und fragte möglichst unfreundlich:
„Gabriel, was gibt’s?“ Gabriel sah schlimm aus. Er hatte dunkle Ringe unter den
Augen, die Faltenansätze in seinen Mundwinkeln traten viel stärker hervor als
normalerweise und seine Haut schien fast durchsichtig an manchen Stellen, so
blass war er im Kontrast zu seinen dunklen Bartstoppeln. Fast tat er ihr schon
wieder leid, aber dann erinnerte sie sich an ihren Streit in der Mensa und das
Mitleid verschwand schlagartig.
„Kann ich kurz reinkommen“, bat er hilflos.
„Ich hab zu tun“, knurrte sie.
„Bitte, Emily. Ich wollte mich nur gerne entschuldigen für
mein Verhalten am Dienstag.“
„Also gut, aber wirklich nur kurz.“ Sie ließ ihn eintreten
und ging vor in die Küche. „Möchtest du etwas trinken? Wir haben Bier und
Cola?“
„Ein Wasser bitte.“ Emily füllte ein Glas am Wasserhahn,
denn der Sprudel war leer, eigentlich Thorstens Baustelle. Sie selbst öffnete
sich betont lässig mit einem Messergriff ein Bier, ein alter Trick von Klaus,
nahm einen großen Schluck, unterdrückte einen Rülpser und ließ sich auf einen
der Küchenstühle möglichst weit entfernt von Gabriel
Weitere Kostenlose Bücher