Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
Gott geschickt zu haben, dass alles gut werden möge. Sie
fuhr mit dem Bus nach Hause und traf dort auf Thorsten, der sich über die
letzten Spaghetti-Reste hermachte, die er dann doch noch großzügig mit ihr
teilte.
„Was macht denn dein Verbindungsleben?“
„Vergiss es. Ich pass da nicht rein. Sie trinken und reden
bis zum Umfallen – das könnte ich ja noch – und dann versuchen sie in diesem
Zustand auch noch zu fechten. Ich bin doch nicht lebensmüde. Aber der Erste hat
schon bei meinem Vater gepetzt, dass ich mich nicht mehr habe blicken lassen.
Ich denke, über kurz oder lang wird’s sowieso knallen. Vielleicht ist ja noch
ein Job bei dir im Altenheim frei, wenn mir mein Vater den Geldhahn zudreht?“
„Wenn’s schlimm kommt, dann müssen wir wohl aus dieser
Wohnung raus, oder?“, fragte Emily, merkte aber, dass diese Vorstellung auch
nicht das Schlimmste war, was passieren konnte.
Thorsten nickte beschämt. „Es tut mir leid, wenn du dir dann
was Neues suchen musst. Aber jetzt warten wir’s erst mal ab. So brave Mieter
wie uns findet er auch nicht so schnell wieder.“ Er grinste schon wieder frech.
Emily räumte den Teller in die Spüle und verabschiedete sich für die Nacht.
Jetzt merkte sie erst, wie erschöpft sie war von dem aufregenden Wochenende.
Sie hatte den Brief abgeschickt und damit vielleicht ihrem Leben eine neue
Wendung gegeben. Zumindest würde sie sich irgendwann nicht vorwerfen müssen,
sie hätte ihr Leben verpasst, klopfte sie sich innerlich auf die Schulter.
Am Dienstag traf sie in der Mensa einen aufgeräumt wirkenden
Gabriel. Die Situation zwischen ihnen war immer noch ein wenig angespannt.
Gabriel schluckte seinen letzten Bissen hinunter und holte
tief Luft: „Emily, versteh mich jetzt nicht falsch, aber ich muss dich was
fragen.“
Emily fiel schon wieder das Herz in die Hose. Hörte diese
Geschichte denn gar nicht auf? Sie blickte ihn an. „Also schieß los.“
„Kannst du mir die Adresse von deiner Freundin Ruth geben?“
Jetzt blieb Emily der Bissen Gemüseauflauf im Hals stecken. Sie hustete und
konnte sich gar nicht mehr einkriegen. Natürlich, ihr fiel es wie Schuppen von
den Augen. Wie blind hatte sie sein können? Die beiden waren das optimale Paar
und Ruth hatte auch so eigenartig abwesend gewirkt an dem Abend. Aber so leicht
konnte sie es Gabriel nicht machen.
„Ts, ts, ts, das geht aber schnell bei dir, Gabriel.“ Sie
tadelte ihn mit dem Zeigefinger. „Heute die eine und morgen die andere?“
Er wurde puterrot und zerkrümelte Reste einer
Baguettescheibe zwischen seinen Fingern. „Ich weiß selbst nicht, was mit mir
los ist, aber es scheint, als hätte meine ganze Liebeskraft die ganze Zeit nur
auf Ruth gewartet.“
Emily wusste, dass er die Wahrheit sagte. Vermutlich war sie
gar nicht die Frau seiner Träume gewesen, er hatte einfach nur zu viel Liebe in
sich, die ein Ziel suchte. War das vielleicht bei ihr genauso? War die
Sehnsucht so groß, dass sie ihre Liebe einem Fremden überstülpen wollte?
Gabriel sah sie immer noch fragend an.
„Ich glaube, ich weiß, was du meinst“, sagte Emily leise.
„Du bist mir also nicht böse?“, fragte Gabriel.
„Quatsch. Übrigens war das Letzte, was Ruth vor dem
Einschlafen gesagt hat, dass sie dich nett findet.“
Gabriels Augen leuchteten auf, sie wurden dann fast
bernsteinfarben und sie konnte ihn sich nun auch wieder als Engel vorstellen,
wie er da so aufrecht saß. „Ich schicke dir gleich nachher ihre Adresse, ok?“
„Und du, wie ist es bei dir weitergegangen?“, fragte er
schüchtern.
Emily fiel es schwer zu antworten. „Gestern habe ich einen
Brief abgeschickt, wir werden sehen.“
„Jedenfalls drück ich dir ganz fest die Daumen“, sagte er
freundschaftlich, während sie gemeinsam die Mensa verließen.
Zuhause stürzte Emily zum Briefkasten. Sie wusste genau,
dass da noch keine Antwort sein konnte. Oder doch, eine selbst eingeworfene
vielleicht. Aber da fand sie nur eine Postkarte. In einer stark nach rechts
geneigten, schlanken Schrift stand:
Liebe Emily,
erinnerst Du Dich noch an unsere Verabredung? Ich wollte Dich herzlich einladen
zu einer kleinen Thingstätten-Erkundungstour. Wir treffen uns Samstagnachmittag
um sechzehn Uhr in Handschuhsheim an der Tiefburg. Wenn Du nicht da sein
kannst, hänge doch bitte ein rotes Kleidungsstück aus Deinem Fenster. Herzliche
Grüße, David
Gerade gestern hatte sie an ihn gedacht und war froh, dass
er sich gemeldet hatte.
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