Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
viele
nette Leute in Heidelberg zu kennen.“ Sie machte eine kleine Verbeugung in die
Runde, und da die gemischte Runde schon ganz von allein ins Gespräch kam,
wandte sie sich in Richtung Küche, um die letzten Handgriffe für ihre
Spaghetti-Party auszuführen.
Unter großem Hallo schleppten Thorsten und sie die zwei
großen Spaghetti-Töpfe auf den Tisch und jeder konnte sich durch die köstlichen
Saucen probieren, wobei ihre Gäste sie so sehr rühmten, als wäre dies ihr
erstes Festmahl nach einer langen Zeit des Fastens. Emily setzte sich zwischen
Ruth, die bereits in ein Gespräch mit Gabriel vertieft war, und Clara, die mit
Max gerade Spaghetti-Buchstaben auf der Tischdecke formte. Herr Hirzel hatte
Mühe, die Spaghetti auf der Gabel zu halten, und Bohni half ihm dezent bei der
Nahrungsaufnahme. Das hinderte Herrn Hirzel aber nicht daran, mit Claras
Großmutter zu flirten, die zu seiner Linken saß und sich sichtlich
geschmeichelt fühlte. Mit einem Seufzer der Erleichterung sah Emily, dass alle
versorgt zu sein schienen, und konnte sich nun ebenfalls der Schlemmerei
widmen.
Später standen die Buntglasfenster weit offen, die
Kastanienblätter vor dem Fenster rauschten in der warmen Nachtluft. Emily hatte
bereits einige Gläser Wein getrunken und fühlte sich so frei und ungezwungen,
dass sie die kleine Tanzfläche einweihte, wo vorher ihr Nussbaumtisch gestanden
hatte. Bald gesellten sich Thorsten, Nadine, Clara und Max dazu und auch Bohni
zeigte, was er draufhatte. Emily wollte Ruth ebenfalls zu den Tanzenden ziehen,
aber sie mochte lieber Gabriel Gesellschaft leisten, was auch immer die beiden
so lange zu erzählen hatten.
Gegen zwei Uhr, als alles
aufgeräumt war, fielen Emily und Ruth todmüde und glücklich auf ihre Matratzen.
„Gabriel ist nett“, murmelte Ruth noch, dann war sie auch schon eingeschlafen.
Emily glitt ebenfalls hinüber ins Land der Träume und stellte sich vor, Josue
wäre heute Abend mit dabei gewesen. Sie hätten Händchen gehalten unter dem
Tisch, sein Daumen hätte zärtlich ihre Handfläche massiert und dann hätten sie
Stehblues tanzen können. Doch irgendwie wollte sich heute Nacht kein scharfes
Bild einstellen und schließlich nickte sie ebenfalls ein.
Am nächsten Tag schliefen sie weit in den Tag hinein. Dann
gönnten sie sich ein Frühstück in der Stadt und bummelten durch die Straßen.
„Möchtest du, dass ich dir ein wenig von der Stadt zeige? Inzwischen bin ich
gar nicht so schlecht als Sadtführerin.“
„Nein, lass’ man. Heute ist mir gar nicht nach Sightseeing.
Könnten wir nicht hier in den Bergen spazieren gehen?“ Ruth wirkte eigenartig
verträumt.
„Lass mich nachdenken. Weißt du, wo ich schon immer mal
hinwollte? Es gibt hier ein sogenanntes Arboretum mit ganz vielen
jahrhundertealten Bäumen. Hättest du Lust, das gemeinsam mit mir zu suchen?“
Ruth hatte Lust und sie fanden einen Bus, von dem sie sich den Berg hinauf
tragen ließen. Oben angekommen wanderten sie durch die ehrwürdigen
Baumveteranen wieder hinunter. Beide schauten gedankenverloren aus dem Fenster
und waren richtig maulfaul. Emily beschloss, endlich Nägel mit Köpfen zu
machen. Das Fest gestern hatte sie erneut darin bestärkt, dass sie etwas
umsetzen konnte, was sie sich vorgenommen hatte, selbst wenn es unkonventionell
war. Noch heute Abend würde sie den kleinen Brief abschicken. Und dann war ihr
die Idee gekommen, jeden darauffolgenden Tag eine Blanko-Postkarte
abzuschicken, er würde dann schon wissen, von wem sie kamen. Sie fand das hoch
symbolisch mit dem weißen Raum, der gefüllt werden konnte, durch eine neue
Begegnung. In der Altstadt hatte sie auch schon ein Lädchen entdeckt, in dem es
die Postkartenmotive gab, die ihr vorschwebten. Wunderschöne Blumenaufnahmen,
weite Landschaften, charakterstarke Gesichter und da könnte sie doch jeden Tag
in einem kleinen Ritual vorbeifahren und sie immer wieder neu abschicken.
„An was denkst du“, fragte Ruth.
„Ich glaube, ich weiß jetzt, wie ich’s angehen möchte mit
Josue.“
„Ja, gestern hätte er schon dabei sein können, wenn du nicht
so schüchtern gewesen wärst“, sprach Ruth Emilys Gedanken aus. Und als Emily
von ihrer Idee erzählte, bekam sie auch ganz glänzende Augen und beide wurden
von einer gemeinsamen Vorfreude auf Veränderung gepackt.
Nachdem Emily Ruth in den Nachzug nach Hamburg gesetzt
hatte, warf sie am Bahnhof den Brief ein, nicht ohne vorher ein Stoßgebet zum
vielleicht vorhandenen
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