Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)
gemeistert
hatte. Irgendeine Scheu hatte sie zurückgehalten, Ruth bisher davon zu
erzählen. Emily stellte eine Schüssel Cantuccini auf den Tisch. „Jedenfalls
vielen Dank, dass du nach meiner Mutter geschaut hast.“
Ruth wehrte ab. „Wir hatten schon immer einen guten Draht
zueinander.“ Ruths Eltern waren beide schon über siebzig. Sie war das einzige
Kind, das ihre Eltern in hohem Alter noch bekommen hatten, und sie besuchte sie
regelmäßig in dem Seniorenheim, in dem sie lebten. Ihr Vater war seit einigen
Jahren dement und saß im Rollstuhl, ihre Mutter kümmerte sich im Rahmen ihrer
Möglichkeiten aufopfernd um ihn. Ruth musste schon früh auf eigenen Füßen
stehen, weil ihre Eltern so mit sich selbst und ihrem Altern beschäftigt waren.
Vielleicht war sie deswegen so eine rundum vernünftige Person?
Emily goss das sprudelnde Wasser in die geblümte Teekanne.
Sie setzte sich und zog die Füße auf den Stuhl. „Ruth, ich freu mich wirklich,
dass du da bist.“ Sie lächelte ihre Freundin an und legte ihr die Hand auf den
Arm.
Ruth ließ kurz ihre Stirn gegen Emilys sinken und langsam
stellte sich etwas wie die frühere Vertrautheit zwischen ihnen ein. Emily sprang auf. „Entschuldige, ich habe dir gar
nichts Richtiges zu essen angeboten nach der langen Bahnfahrt.“
Ruth schüttelte den Kopf. „Schon ok, ich hebe mir meinen
Hunger für nachher auf. Wie ich dich kenne, gibt’s da genug. Setz dich,
entspann dich und jetzt erzähl doch endlich und spann mich nicht so auf die
Folter.“
Emily holte den Brief von ihrem Nachttisch und den Zettel
mit den Ideen. „Also von der Wette mit Anna hatte ich dir erzählt.“
Ruth verzog missbilligend das Gesicht „Anna hat immer so
komische Einfälle. Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?“
„Vielleicht wünscht sich Anna eine mutige Trauzeugin?“ Ruth
brummte und strich sich eine schwarze Strähne, die sich aus ihrem Pferdeschwanz
gelöst hatte, hinters Ohr. „Na ja, bisher hat mich der Zeitdruck auch noch
nicht wesentlich weitergebracht“, gestand Emily. „Du hast schon ganz richtig
erkannt, dass ich nicht so toll im Briefeschreiben bin. Willst du lesen, das
ist mein letzter Entwurf.“
Ruth nahm den Brief und überflog die Zeilen. „Gar nicht
schlecht.“ Sie nickte anerkennend. „Aber natürlich viel zu kurz für einen
Liebesbrief, oder?“
„Na ja, ich dachte da mehr an einen door opener“.
„Was soll denn das sein?“
„Vielleicht so eine Art Appetithäppchen, dass er mich näher
kennenlernen will. Deswegen hatte ich da auch verschiedene Zusatzideen,
sozusagen für die Verpackung.“ Sie schob Ruth die Liste hin.
Ruth knabberte an einem neuen Keks, während ein anderer noch
auf ihrem Teller lag. Sie runzelte die Stirn. „Ach, Emily, ich habe das Gefühl,
das ist alles so kindisch. Du scheinst die Sache nicht ganz ernst zu nehmen.“
Emily schnappte nach Luft. „Ich denke seit Wochen Tag und
Nacht an nichts anderes und du sagst, ich würde das nicht ernst nehmen?“,
schnauzte sie.
„Jetzt reg dich nicht auf. Du weißt ja, dass ich da nicht
gerade viele Erfahrungen habe. Aber ich denke, die Liebe ist eine ernste Sache
und erfordert ernste Maßnahmen, wie zum Beispiel einen anständigen
Liebesbrief.“
„Und was ist deiner Meinung nach ein anständiger
Liebesbrief?“, fauchte Emily.
„Na ja, die von Klaus am Anfang fand ich gar nicht so
schlecht.“
„Ja, aber ich bin ich – und ich muss das eben auf meine Art
machen.“ Emily schnappte sich den Brief und die Liste und warf sie auf ihr
Bett.
„Ich würde mir manchmal wünschen, dass du nicht immer an mir
rumkritisierst, sondern mich in dem unterstützt, was mir wichtig ist.“
Jetzt legte Ruth ihr versöhnlich die Hand auf den Arm.
„Emmy, reg dich nicht auf. Du weißt, ich bin eine alte Jungfer mit altmodischen
Ansichten, also was erwartest du von mir?“
Emily legte den Kopf auf den Tisch und die Spannung der
letzten Wochen fiel langsam von ihr ab. Sie sagte verzweifelt: „Ich wünschte
mir so sehr, dass mich jemand an die Hand nimmt und mir zeigt, wie ich das
richtig anpacke, damit nicht immer alles schiefgeht.“
„Gleichzeitig willst du aber auch keine Ratschläge hören,
oder?“
„Ja, ich weiß doch, dass ich das alles alleine entscheiden
muss und da auch alleine durch muss, aber es wäre so schön, es nicht zu müssen,
wenn du verstehst, was ich meine.“
Ruth nickte. „Mensch, manchmal weiß ich gar nicht, warum du
es dir so schwer machst. Du
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