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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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scheuern. In keinem andalusischen Haushalt fehlt dieses
Wundermittel, es gibt keinen ordentlichen Hausputz ohne – auch wenn die Nase beißt und die Augen brennen.
    „Setzt euch, das Essen ist fertig.“ Jaime führt mich in das winzige Wohnzimmer, das ein niedriger, bereits gedeckter Tisch komplett ausfüllt. Ein
durchgesessenes Sofa begrenzt den Tisch an zwei Seiten, am Kopfende in prominenter Position der Fernseher, aus dem lautstark Nachrichten dröhnen. Jaime
fischt die Fernbedienung aus den Tiefen der Sofaritzen hervor und dreht die Lautstärke herunter. „Meine Eltern sind leider schon annähernd taub“, sagt
er entschuldigend. „Setz dich, ich helfe meiner Mutter in der Küche.“ Brav folge ich seinen Anweisungen und versinke im Sofa.
    Gerade als ich mein Gesicht dem Nachrichtensprecher zuwenden will, schrecke ich jäh auf. „Du bist also die Freundin von meinem Sohn“, sagt eine
krächzende, laute Stimme. Sie gehört einem kleinen Mann mit runzligem Gesicht, der plötzlich im Türrahmen erschienen ist. Obwohl ich in den Kissen
eingegraben scheine, schaffe ich es in Sekundenschnelle zu stehen. Ich bereue es sofort, denn ich überrage Jaimes Vater um mehr als einen Kopf. Ich
bücke mich und gebe ihm zwei Küsschen, dann lasse ich mich wieder in die Kissen fallen. „Wir haben viel von dir gehört“, sagt er. Ich lächle
unsicher. „Wie gefällt dir Málaga?“, fragt er. Ohneeine Antwort abzuwarten, fährt er fort: „Bestimmt viel besser als das kalte
Deutschland. In Málaga haben wir das perfekte Klima. Es gibt keinen besseren Ort zum Leben …“ Gerade als er mit durchdringender Stimme eine Lobeshymne
auf seine Stadt anstimmen will, kommt Jaime mit einer riesigen Pfanne herein. Es sieht so aus, als erwarteten wir noch zehn weitere Gäste.
    „Jetzt werden wir erst einmal essen“, sagt er, die Paella noch in der Hand, besänftigend zu seinem Vater. Hinter Jaime steht seine Mutter, einen
Teller mit Garnelen und einen mit Miesmuscheln bei sich tragend. Voller Vorfreude blicke ich auf das Essen, bemerke dabei aber auch, wie die Mutter mich
nicht aus den Augen lässt. Sie schnappt sich meinen Teller und leert drei riesige Schöpflöffel Reis darauf. Das Gleiche tut sie mit den Tellern von
Jaime und ihrem Mann. Sich selbst hingegen serviert sie nur eine kleine Portion. Und während wir uns über den Reis hermachen, beobachtet sie jede
unserer Bewegungen. Lässt einer von uns den Löffel kurz sinken, ermuntert sie ihn mit „¡Come, come! – Iss, iss!“-Rufen.
    Mein Freund hat mich vorgewarnt, dass sich bei seiner Mutter alles ums Essen dreht. Diese Eigenschaft scheinen alle andalusischen Mamas zu
teilen. Jaimes Mutter ist in der Zeit nach dem Spanischen Bürgerkrieg in einem Dorf aufgewachsen, die Nahrung war immer knapp. Mit neun Jahren schickten
ihre Eltern sie in die Stadt, wo sie gegen Kost und Logis bei einer reichen Familie in der Küche arbeiten musste. Als sie viele Jahre später ihre eigene
Familie gründen konnte, musste der Kühlschrank immer voll sein, Hunger sollte in ihrem Haus nie mehr jemand leiden. „Dass die Zeiten der
Nahrungsknappheit vorbei sind, ist bei ihr leider noch nicht angekommen“, hat Jaime gesagt und hinterhergeschoben: „Wenn jemand viel und gern isst, hat
er sie schon für sich gewonnen.“
    Das ist mein Fall, Essen gehört für mich zu den größten Vergnügen, die das Leben bereithält. Nach der Riesenportion Paella, den
Garnelen und den Miesmuscheln tischt Jaimes Mutter Milchreis auf. Obwohl ich das Gefühl habe, gleich zu platzen, vertilge ich eine große Portion in dem
Wissen, dass prüfende Mutter-Augen auf mir ruhen. Doch kaum habe ich den Löffel abgelegt, stellt sie die Gretchenfrage. „Kochst du auch gern?“ Kurz
druckse ich herum – ich weiß schließlich, was sie hören will –, und dann sage ich vorsichtig: „Ehrlich gesagt, ich koche nur sehr selten.“ Das erste
Mal verschwindet ihr freundliches Lächeln. Jaime scheint den Ernst der Lage nicht zu erkennen, denn sein Blick ist wie gebannt auf den Fernseher
geheftet. Mein voller Bauch scheint mich noch tiefer in das Sofa zu drücken. „Was esst ihr denn dann?“, fragt sie. Ich zweifle noch, ob es jetzt
angebracht ist zu sagen, dass wir fast täglich in einem der Gasthäuser einkehren, in denen für fünf Euro ein ganzes Menü serviert wird, da kommt Jaime
mir zuvor. „Wir gehen essen, Mama“, sagt er ungeduldig. Damit ist das Gespräch beendet. Jaime ist der Prinz im Haus, wenn er ein

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