Ein Jahr in Australien
Flinders Highway, Barkly Highway – endlich mal ein paar Straßen, die ihre Namen nicht englischem Adel verdankten, sondern echten Abenteurern. Und geheimnisvoll klangen die Orte und Straßen überdies: Nullabor Plain, Borroloola, Oodnadatta Track las ich. Dann oben links die Gibb River Road. Wie der Express und ich wohl die meistern würden? Ich sah genauer hin, ah, wohl eher gar nicht: 4WD only – nur für Allradantrieb geeignet, stand klein daneben. Auch recht, eine Qual der Wahl weniger. Denn schon die Reiserei im Kopf war anstrengend: 5000 Kilometer von Sydney nach Perth, vom Süden hoch bis Darwin waren es immerhin auch fast 3000 – so weit wie von Berlin nach Athen und zurück, via Vogelfluglinie. Schon möglich, dass Australien der kleinste Kontinent der Erde war. Mir erschien er groß genug. Wo sollte ich da bloß anfangen? Ich heftete die Australienkarte an die Wand, schließlich hatte ich Jeff versprochen, inder Nähe zu bleiben. Stattdessen zog ich „New South Wales – die Küste“ aus einem meiner Milchkästen. Das sah schon übersichtlicher aus. Und trotzdem nicht langweilig. Immerhin hatte mich bereits mein kleiner Trip vor die Tore der Stadt zum Staunen gebracht, wieso sollten nicht andere Flecken der nicht ganz so fernen Umgebung das Gleiche tun? Zumal wenn sie die von mir besonders geliebten Doppelnamen trugen: Willi Willi National Park und Booti Booti las ich da, kaum 200 Kilometer nördlich von Sydney, etwas weiter Crescent Heads und Coffs Harbour. Von beiden war oft in den Surfreports die Rede. Also keine Panik. Ich würde mich einfach langsam vortasten, gewissermaßen erst üben, und den großen, kontinentalen Erkundungszug auf später verschieben. Entspannter würde eine richtige Tour vermutlich ohnehin in Begleitung sein. Geteilte Freude, vor allem auch geteiltes Am-Steuer-Sitzen bedeutete auf solchen Distanzen zweifellos doppelten Genuss. Und wer weiß, fantasierte ich, vielleicht ließ sich ja sogar der ferne Prinz zu einem Trip überreden. Fernweh war schließlich seine Spezialität. Um mit mir zu reisen, musste er sich natürlich zunächst wieder in meiner Zeitzone blicken lassen. Und wann das passieren würde, war wie üblich unklar. Am Telefon hatte er auf meine vorsichtige Frage, wann er mal wieder in Sydney vorbeischaue, von Ende Mai geredet. Die letzte Nachricht in der Mailbox hatte indes schwammig geklungen: „Will try to be back next month“ hieß es da und dann vage „maybe, you know, talk soon. It’s all sooo far away. Kisses R.“ Ja, alles ziemlich weit weg. Das war mir auch schon aufgefallen.
Juni
Auf den Juni war ich schon seit einer ganzen Weile neugierig, und zwar aus einem eher profanen Grund: Der 1. des sechsten Monats war in Australien der offizielle Winteranfang. Die Jahreszeiten wechselten auf dem fünften Kontinent nicht wie in Europa zu krummen Daten um den 23. Nein, zum Monatsende hieß es Schnitt und Vorhang auf für die nächste Jahreszeit, die akkurat drei Monate dauerte. Pünktlich am 1. September würde dann – jedenfalls laut Kalender – der Winter zum Frühling. Der Sommer fing logischerweise ein paar Tage vor Nikolaus an. Einfacher merken ließ sich das auf jeden Fall. Wie sich der australische Winter aber nun anfühlen würde, konnte ich mir nicht so recht vorstellen.
Das Meer war noch immer warm genug zum Schwimmen, die Luft trocken, sehr klar und mittags nicht selten um 22 Grad, der Himmel wolkenlos. Die Tage allerdings waren kurz. Sie schrumpften spürbar jeden Tag. Um fünf Uhr nachmittags begann die Dämmerung, dann ging die Sonne unter, wenig später war es stockfinster. Mehr als einmal hatte mich inzwischen beim abendlichen Surfen die Dunkelheit überrascht. Noch eine Welle, nur diese eine noch, hatte ich mir gesagt, und mich plötzlich zur „shark feeding time“ im beinahe schwarz blinkenden Wasser wiedergefunden. „Essenszeit der Haie“, der Ausdruck stammte von Christine, die für alles ein Schlagwort parat hatte. Sie surfte zwar nicht, aber wenn sie rechtzeitig aus dem Büro kam, schwamm sie nach der Arbeit durch die Bucht. Seit Mai allerdingswurde ihr das meist zu knapp, zu dunkel oder, wie gesagt, zu „sharky“.
Ich hatte mich mit dem Thema natürlich selbst hin und wieder beschäftigt. Für meinen eigenen Seelenfrieden, aber auch, um auf die regelmäßig wiederkehrenden Hai-Fragen aus der Ferne bessere Antworten parat zu haben. Dabei hatte ich einige erleichternde Details herausgefunden: Der letzte ernst zu nehmende
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