Ein Jahr in Australien
noch drei andere Autos. Das beruhigte mich irgendwie. So viel Einsamkeit und Stille war ich nicht gewohnt. Und schließlich war ich nicht im Outback, sondern befand mich kaum 50 Kilometer südlich von Sydneys quirligem Zentrum. Ich war froh, wenigstens meine Wasserflasche und eine Packung Kekse eingepackt zu haben. Denn auch mit Geschäften oder Cafés schien die Gegend nicht sonderlich gut bestückt zu sein. Dafür konnte ich mich ja ausführlich an der Natur sattsehen. Auf den ersten Blick sahen die schlanken Gum-Trees – wie die Hunderte von Eukalyptusarten der Kürze halber genannt werden – alle gleich aus: grün, fransig und trocken. Doch je länger und genauer ich hinschaute, umso hübscher wurden sie. Das Gleiche galt für die anderen Pflanzen. Winzige gelbe Kelche steckten unter strubbelig harten Blättern, orangefarbene Pfeifenputzer schoben sich aus sonst unscheinbaren Büschen, sorgfältig ineinandergezwirbelte Blütenkunstwerke hingen von dünnblättrigen Sträuchern. Ich würde eine Menge neuer Namen lernen müssen.
Das Picknickgelände verdankte seinen Namen dem Bach, der sich jenseits der Holzbänke zu einer breiten, klaren Lagune weitete. Am Ufer pickten ein paar winzige Vögel mit langen Schnäbeln im Sand nach Insekten. Zur Küste hin wurde der Lauf des Wattamolla Creeks weit und seicht. Er umspülte ockerbraune und rote Felsen und eine Sandbank, die ihn vom Pazifik trennte. Flussmündungen am Meer hatten fast immer etwas Magisches, aber diese hier war ungewöhnlich romantisch. Hinter mir erstreckte sich der grüne,hügelige Nationalpark, vor mir das tiefe Blau des Ozeans. In der flachen Lagune spiegelten sich ein paar weiße Wolken, über den Klippen kreiste ein Raubvogel, den ich für einen Adler hielt.
Mittlerweile machte mir auch die Stille nichts mehr aus. Ich zog meine Schuhe aus und lief über die Sandbank zum anderen Ufer des Baches. Auf den Felsen störte ich zwei fingerlange Echsen beim Sonnenbad. Ob es hier eigentlich Schlangen gab? Ich sah mich etwas unsicher um und schüttelte den Kopf. Vor allem darüber, wie mäßig ich mich auf meinen Ausflug in die Natur vorbereitet hatte. Vorsichtshalber zog ich meine Schuhe wieder an. Dieser Royal National Park hatte mit der europäischen Variante eines „Parks“ so rein gar nichts gemeinsam. Ich lief zwar über einen ganz offensichtlich von Menschen angelegten Wanderweg, aber die Wildheit und Weite des Geländes, durch das der Trampelpfad führte, erinnerte mich eher an Outback und Busch als an einen Park vor den Toren der Großstadt. Es roch nach Eukalyptus und Salz und fremdartigen Blüten. Obgleich der Mai dem Ende zuging, waren Luft und Felsen noch warm. Der Stand der Sonne allerdings erinnerte mich daran, wie kurz die Tage inzwischen waren: Schräg lugte sie im Westen über die Bäume, in weniger als zwei Stunden würde es stockdunkel sein. Höchste Zeit, wieder in Richtung Parkplatz zu wandern.
Auf dem Rückweg musste ich noch einmal links ranfahren. Die Sonne war hinter ein langes, dünnes Wolkenband gerutscht, dessen Ränder in sattem Orange leuchteten. Über den Kronen des Eukalyptuswaldes wechselten die Farben des Himmels von knalligem Rosa über Rot bis in dunkles Violett. Ein Sonnenuntergang zum Atemanhalten. Als ich mich aufraffen konnte, endlich den Motor wieder anzulassen, tauchte nach einer Weile die Skyline von Sydney vor mir auf. Die erleuchteten Wolkenkratzer wirkten aus der Ferne wie eineFata Morgana, glänzend und schön, aber auch ein wenig, als sei dort hinten ein Satellit aus einer anderen Welt gelandet. Unwirklich. Ohne zu große Umwege steuerte ich den Express zurück nach Bondi und parkte direkt vor der Tür. 120 Kilometer ohne Pannen oder Ausflüge auf die falsche Seite der Straße hatten wir gemeistert, nicht schlecht.
Ich war froh, die erste längere Probefahrt heil überstanden zu haben, und zugleich traurig, dass meine kleine Expedition schon zu Ende war. Der königliche Park hatte meine Reiselust geweckt. Ich machte es mir mit einem VeeBee auf dem Teppich bequem und breitete meine Australienkarte aus. Mit dem Finger fuhr ich nach Perth im Westen, dann nach Adelaide, hoch über Alice Springs nach Darwin, rechts rum nach Cairns, Brisbane und Newcastle. Wüste, Regenwald, Korallenriffe, Tasmanien, Fraser und Kangaroo Island. All das las sich ungemein vielversprechend. Und die immensen „leeren Flecken“ dazwischen erst recht: Simpson und Tanami Desert, Arnhem Land … Ich schwelgte. Stuart Highway,
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