Ein Jahr in London
mit Gesten oder Lichtzeichen, dass ich ihnen die Vorfahrt gelassen habe, obwohl sie die sowieso hatten. Die große Mehrheit der englischen Autofahrer ist bis zum Verzweifeln zuvorkommend.
So muss ich auf meiner ersten Fahrt auf eine dichtbefahrene Straße abbiegen. Da wir aber erst kurz auf der Landkarte nachschauen wollen, ob wir auf dem richtigen Weg sind, kommt mir die Pause sehr gelegen. Ich komme zum Stehen, habe nicht einmal den Straßenatlas aufgeschlagen, da hält schon das nächste Auto an und der Fahrer signalisiert mir, mich vor ihm einzuschlängeln.
„Idiot! Sieht der nicht, dass wir beschäftigt sind!“, beschwert sich Elli.
Ich bedanke mich mit einer Handbewegung und weiter geht es mit meiner Trainingsfahrt.
Und dann biegt vor mir völlig geräuschlos ein mysteriöses Gefährt ein, dessen Fahrer mir mit seiner Kappe schwenkend zuwinkt.
„Was ist denn das?“
„A milk float, of course.“
Ein Milchauto! Beweise dafür, dass es sie gibt, habe ich bisher nur in den Flaschen vor unserer Haustür gesehen, doch sonst sind die Milchautos viel zu früh für so Leute wie mich unterwegs. Um bei ihren Lieferungen in den frühen Morgenstunden niemanden aufzuwecken, werden sie elektrisch betrieben und bringen es, wenn ihre Fahrer mal ein bisschen zu lang geschlafen haben und mit ihren Lieferungen spät dran sind, zu einer Höchstgeschwindigkeit von ganzen 20 Kilometern pro Stunde. Und ich stecke hinter einem von ihnen fest!
„Komm, jetzt kannst du aber wirklich überholen!“ Elli wird ungeduldig, aber zehn Minuten später schieben wir uns noch immer im Zeitlupentempo hinter dem Wägelchen her.
„Warum der aber auch nicht mal abbiegen kann“, sage ich genervt, und Elli wirft ein, dass er wahrscheinlich genau wie wir gerade auf dem Heimweg nach London ist und für die gesamte Rückfahrt vor uns sein wird. Selbst die sonst so geduldigen englischen Fahrer hinter mir werden langsam ein wenig unruhig. Die Schlange muss mittlerweile mehrere Kilometer zurückreichen und ich werde langsam nervös.
Doch dann kommt sie, meine Rettung, und zwar in der Form eines Roundabouts , eines Kreisels. „Da werde ich das verdammte Milchauto ja wohl loswerden!“ Ich bin entzückt. Aber Elli bleibt stumm. Während wir uns mit unseren 15 Kilometern pro Stunde langsam Richtung Kreisel vorschieben, sagt sie kein Wort.
„Was ist denn los? Du bist doch jetzt wohl nicht sauer auf mich, weil ich mich nicht getraut habe, zu überholen?“
„Nein, nein, ich mache mir nur Sorgen.“
„Warum denn? Habe ich was falsch gemacht?“
„Nein.“
Ellis Stimme klingt unerwartet bedrückt. „Das hier hätte ich dir lieber in deiner ersten Fahrstunde erspart.“
„Was denn?“ Welche verkehrsbedingte Katastrophe kommt jetzt noch auf mich zu?
Endlich rückt sie mit der Sprache raus.
„Das da vorne ist der Hemel Hampstead Magic Roundabout . Da bekomme selbst ich ein bisschen Angst beim Auffahren.“
„ Magic Roundabout? Hört sich toll an.“
„Nicht wenn du wüsstest, worum es sich dabei handelt. Halt sofort an und steig aus.“
So befehlerisch habe ich Elli selten erlebt, also stoppe ich trotz Hupkonzert hinter uns kurzerhand und wir wechseln die Plätze.
„Das ist kein normaler Roundabout “, erklärt sie dann beim Weiterfahren, „sondern sieben Mini-Kreisel in einem Großkreisel, an denen das Besondere ist, dass man sowohl im Uhrzeigersinn als auch gegen den Uhrzeigersinn fahren kann.“
Ich versuche, mir das Ganze vorzustellen, aber es gelingt nicht recht.
„Und du musst dir merken, wann man in England im Kreisverkehr blinken muss und wann nicht. Also, auf der inneren Spur blinkst du rechts vor jeder Ausfahrt, die nicht genommen wird, auf der Außenspur nicht blinken vor Ausfahrten, die nicht genommen werden, aber nach der letzten Ausfahrt, die nicht genommen wird, und vor der Ausfahrt, die genommen wird, links blinken.“
„Aha?“ Wieder einmal versagt meine Vorstellungskraft und ich beschließe, in Zukunft alle Kreisel einfach zu vermeiden. Langsam wird mir klar, warum der Schöpfer die Briten auf eine Insel verbannt hat.
Und dann sind wir plötzlich schon mittendrin in dem Magic Roundabout und Autos kommen aus allen Himmelsrichtungen auf uns zugesaust, fahren dann gerade noch rechtzeitig auf den nächsten Kreisel ab, während wir ständig die Richtung und Fahrspur zu wechseln scheinen.
„Einfach Augen zu und durch.“ Als ich Elli ängstlich von der Seite anschaue, bin ich sicher, zu sehen, dass sie
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