Ein Jahr in New York
es gibt sogar einen Garten, und Williamsburg ist echt nett“, beharrte sie, dippte wie jeden Morgen einen Almond Biscotto in ihren schwarzen Kaffee und wusste, dass sie Recht hatte.
„Williamsburg liegt in Brooklyn, und da wollte ich ja eigentlich nicht so gerne hinziehen“, antwortete ich. Auf der anderen Seite war ich am Wochenende sowieso dortzum Brunch verabredet. „Okay, gib mir Paulas Nummer. Ich kann’s mir ja mal anschauen.“
Drei Tage später saß ich im Zug auf dem Weg nach Williamsburg. Ich musste am zentralen Union Square umsteigen. Von dort war ich in weniger als zehn Minuten da. Williamsburg war nur einen Stopp von Manhattan entfernt, direkt auf der anderen Seite des East River. Ich stieg aus und spürte es sofort. Die Stimmung war anders. Alles war kleiner, niedriger, ruhiger, langsamer und trotzdem voller Leben. Vor allem: Man konnte ganz viel Himmel sehen.
Junge Leute überall. Hipster, so individuell gekleidet, dass sie doch alle irgendwie gleich aussahen. Der Ausgang führte mich auf die Bedford Avenue, Williamsburgs Hauptschlagader. Hier gab es kleine Cafés, winzige Boutiquen, einen tollen Plattenladen, ein Yogastudio. Vor einem Haus auf der Holzbank saß ein Typ mit einem Handtuch über den Schultern. Seine Freundin schnitt im gerade die Haare. Und das mitten im Winter, dachte ich und freute mich irgendwie über diesen absurden Anblick. Ich holte einen Reiseartikel über Williamsburg aus meiner Tasche, den ich irgendwann mal aus dem Wallpaper Magazin gerissen hatte. Sobald ich mich von der Bedford entfernte, machten die Straßen einen recht braven und verschlafenen Eindruck. Richtung East River lagen hauptsächlich alte Industriegebäude, deren Loftetagen zum Teil unbewohnt, zum Teil in großzügige Apartments umgebaut waren. Auf der anderen Seite Richtung Osten standen eine Menge langweilige, leblose Einfamilienhäuser, ein bisschen wie in Noelles neuem Viertel Greenpoint, das gleich oberhalb von Williamsburg im Norden lag. Aber während ich die in dem Artikel erwähnten Stationen ablief, stieß ich plötzlich wie aus dem Nichts auf lauter andere tolle kleine kreative Läden, die sich in dieser ungeschliffenen Nachbarschaft eingenistet hatten.Ein Interior-Laden, der wunderschöne Vintage-Möbel und nostalgische Wohnaccessoires verkaufte. Eine minimalistisch eingerichtete Parfüm-Boutique im Beton-Look, in deren Regalen Duftnoten wie „Winter“, „Erster Sommerregen“ und „Gurkensandwich“ standen. Eine Modedesignerin, die ihre wenigen Entwürfe in einer Galerie ausstellte.
„Eine Menge junger Künstler, die sich die Mieten in Manhattan nicht leisten konnten, haben sich mit ihren Studios in den großen Lofts eingerichtet“, hatte mir Vanessa erzählt. „Wie ein Magnet haben sie die junge kreative Szene New Yorks über den East River gezogen. Und mittlerweile natürlich auch die Immobilienmakler, die hier leider schon ihre Spuren hinterlassen haben: Überall schießen schnieke Condo-Gebäude in die Höhe.“ Stimmt, auch die sah ich.
Ich lief und lief, und der Morgen wurde zum Mittag. Unbemerkt. Ich holte mir im Café Verb einen Chai Latte und wärmte mir die Füße auf. An den Tischen saßen die meisten Leute allein, schrieben an ihrem Laptop oder lasen die New York Times. Es war fast zwei Uhr, und ich machte mich auf den Weg zum Diner „Relish“, wo ich Noelle zum Brunch traf.
„Wir schauen uns die Wohnung auf jeden Fall an“, erwiderte Noelle, als ich laut überlegte, die Apartment-Besichtigung einfach ausfallen zu lassen. „Mir gefällt Williamsburg ja auch echt gut, aber ich kann doch Ute nicht einfach wieder absagen“, sagte ich. Noelle schaute mich fragend an. „Are you serious? Natürlich kannst du ihr absagen. Jederzeit. Das machen alle, ist doch ganz einfach. Also, ihr Deutschen, dass ihr immer so korrekt sein wollt.“ Ich holte tief Luft, war einen kleinen Moment lang beleidigt. Aber sie hatte ja Recht. Deutsche wollen immer alles richtig machen. „New Yorker versuchen das erst gar nicht. Hier muss man flexibel sein. Hier prallen so viele Leben, Kulturen undAnsichten aufeinander. Man muss alles akzeptieren, aber es ist unmöglich, es immer allen recht zu machen“, sagte sie.
Ich gab mich geschlagen. Wir bestellten die Rechnung, und ich faltete meinen kleinen Plan aus. South 3 rd Street. Etwa acht Blöcke von hier.
Das Haus war, wie Vanessa es versprochen hatte, sehr niedlich. Ein altes Brownstone mit dem typischen Treppenaufgang, die Fassade von Efeu
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