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Ein Jahr in New York

Titel: Ein Jahr in New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Sieger
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den New Yorker Wohnungsmarkt zu kämpfen“, sagte ich, ohne zu wissen, was für ein Immobilienschlachtfeld auf mich wartete. Die Leerstandsrate lag bei unter einem Prozent. Das erklärte, warum die Vermieter ein Vermögen für winzige Wohnungen verlangen konnten, für das man in Deutschland ein ganzes Haus plus Garten bekommen hätte. Ein Studio in SoHo zum Beispiel kostete im Schnitt über 2000 Dollar. Und in ein Studio in dieser Stadt passten so gerade mal ein Bett und ein Tisch. Wenn man Glück hatte, beinhaltete die in den Raum integrierte Küchenzeile sogar eine Arbeitsfläche. Wenn nicht, musste man sein Gemüse auf demmit einem Brettchen überdeckten Spülbecken schnippeln. Das Bad war meistens so klein, dass man es lieber Nasszelle nennen sollte. Der durchschnittliche Mietpreis für Apartments mit zwei Schlafzimmern bei Wohngemeinschaftsbedarf lag bei etwa 4500 Dollar. „Two-Bedroom“-Apartments sagten die New Yorker dazu. Ganz offensichtlich waren einige davon in ihrer Vergangenheit mal „One-Bedrooms“, in die man einfach eine dünne Zwischenwand gezogen hatte. Und fensterlose Schlafzimmer waren Standard.

    All das erklärte mir Noelle am darauf folgenden Wochenende im Detail, als ich ihr beim Umzug half. Auch sie hatte Harlem verlassen. Sie wusste also, wovon sie sprach. „Ich habe mir ungefähr zwanzig Wohnungen in Manhattan angeschaut, und nicht mal eine davon kam in Frage“, entmutigte sie mich, „schlimmer noch, für diese Abstellkammern, die Leute als WG-Zimmer untervermieten, wollen die immer noch über tausend Dollar haben.“ Noelle hatte Manhattan aufgegeben und war nach Brooklyn ausgewichen. Nach Greenpoint, dem polnischen Viertel. Noelles neue Wohnung lag in einem zweigeschossigen Gebäude in einer der vielen Seitenstraßen, in denen hauptsächlich einfallslose Zweifamilienhäuser mit verwitterten Billig-Fassaden standen. Die größeren Avenues, wie die Greenpoint und Manhattan Avenue, waren von grellen Ramschläden und bunten Bodegas gesäumt. Das Klischee vom Osteuropäer, der zu viel trinkt, hatte sich in Greenpoint in der Dichte der „Liquor Stores“ verwirklicht. Es gab an jeder Straßenecke mindestens einen. „Liquor Stores“ sind Spirituosen-Fachgeschäfte, die über eine Verkaufslizenz für Hochprozentiges verfügen. Ohne ist der Verkauf von Alkohol verboten.
    Ich war ziemlich irritiert, als ich das erste Mal im Supermarkt auf der Suche nach einer Flasche Wein durch die Regalreihen irrte und letztendlich mit einem Sixpack Bier an der Kasse endete. Bier darf wegen des niedrigen Alkoholgehaltes fast überall verkauft werden. Wein nur in Fachgeschäften.
    Die Männer, die mir auf dem Weg zu Noelles neuer Wohnung begegneten, hatten eindeutig einige Umdrehungen zu viel intus. Leere Wodkaflaschen lagen wie Beweisstücke zu ihren Füßen. Wie abgestellt standen diese Männer einfach auf dem Bürgersteig rum, in billigen Lederjacken und mit zurückgekämmtem Haar. Sie diskutierten lallend mit ihren Kumpels, nicht in der Lage, ihr Gegenüber länger als eine Sekunde zu fixieren, bevor der glasige Blick auf die Bordsteinkante abrutschte. Für so manchen hier der einzige Horizont. Es war kurz vor zwölf, der Nachmittag hatte noch nicht mal angefangen.
    Ich bog in die Seitenstraße ein und war überrascht über die Vorstadt-Atmosphäre. Wie New York fühlte sich das hier nicht an.

    „Ich würde wirklich sehr gerne in Manhattan bleiben“, sagte ich fast flehend und stellte mir vor, jeden Abend auf dem Weg nachhause an diesen Schnapsleichen vorbeilaufen zu müssen. „Brooklyn ist ein Kompromiss, aber dafür bekommst du für dein Geld einfach viel mehr Wohnqualität. Vor allem Platz.“ Noelle stellte schnaufend einen Umzugskarton ab und schweifte mit einem stolzen Blick demonstrativ über ihr neues, großes Wohnzimmer. Ich nickte zustimmend, wischte mir den Schweiß von der Stirn und ließ mich auf dem Karton nieder, den ich gerade hochgetragen hatte. „Ich bin ja nur froh, dass du keine Waschmaschine hast“, sagte ich zu ihr und war erleichtert, dassNew Yorker mit leichtem Gepäck umziehen. „Warum sollte ich eine Waschmaschine haben, hier gibt’s doch überall Waschsalons“, antwortete sie ahnungslos.
    Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt, dass ich hier fremde Leute dafür bezahlte, meine dreckige Wäsche zu waschen. Ganz selbstverständlich. Für schwere Waschmaschinen gab es in den winzigen Mietwohnungen nämlich entweder keinen Platz oder keine Anschlüsse. Deshalb

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