Ein Jahr in San Francisco
Käsearrangement vergessen. Mari Carmen liegt schon ganz richtig: Viele hübsche Männer gibt es in San Francisco nicht, Nick ist eine Ausnahme, und die paar Sonderfälle in der Stadt sind dementsprechend wählerisch. Die Männer behaupten von der Frauenwelt übrigens das Gleiche.
Ein seltener Moment also, und ich genieße ihn – auch wenn ich seinen Anmachspruch zugegebenermaßen in der Kategorie „leidiger Anfänger“ einordnen muss. Ein Gefühl wie im Marina Safeway . Dieser Supermarkt im Stadtteil Marina ist seit dem Bestseller „Tales of the City“ besser als Dateway oder Single’s Safeway bekannt, weil er als einer der besten Pick-up-Spots, also Aufreißläden, der Stadt gilt. Bevor ich allerdings mit einer guten Käseempfehlung punkten kann, spricht er auch schon weiter: „Ich will heute meinen Süßen überraschen, und suche nach einem guten Käse.“ Mit einem Schlag platzt meine angenehme Dateway-Vorstellung wie eine Seifenblase. Na klar, er ist schwul – schließlich bin ich in San Francisco, Schwulenhauptstadt der USA. Ich lasse mir nichts anmerken, erkundige mich, was er denn normalerweise so mag, und wundere mich dann doch, dass er mich fragt, zumal er mit seinem Akzent doch viel eher Bescheid wissen müsste. „Ja, ja, stimmt schon. Aber ich habeviele Jahre in Chicago gelebt und dort vom Käse komplett Abschied genommen. Nun bin ich seit kurzer Zeit in San Francisco und ganz angetan von der hochwertigen und frischen Produktvielfalt ...“, sagt er und sieht das Stück Gouda, das er in der Hand hält, beinahe zärtlich an. Er fängt an zu erzählen und ich getraue mich kaum, seine Lobeshymne auf die Lebensmittel in San Francisco zu unterbrechen. Doch auf einmal schaut er auf die Uhr und seufzt: „Och, nee. Ich muss ja los. Um Himmels willen – jetzt halte ich dich hier auf. Vielen Dank, meine Liebe.“ Dann stürzt er in Richtung Kasse, ruft noch einmal „Merci beaucoup! À bientôt!“ und ist weg.
Wie das Schicksal so will, treffe ich ihn jedoch keine drei Tage später auf einer Party wieder, die Sophia mit einer ihrer Freundinnen veranstaltet. Meine Käsebekanntschaft ist gerade in der Küche damit beschäftigt, seinen Freund mit Nüssen zu füttern, und winkt ganz aufgeregt, als er mich sieht: „Ach, du hier. Deine Empfehlung war super. Du kennst Sophia also auch? Das ist ja lustig. Das ist Jim. Jim, das ist …“ – „Hanni“, beende ich seinen Satz. „Ach, tz tz, ich bin übrigens Alex“, sagt er und schüttelt den Kopf über seine eigene Dusseligkeit. Wir betreiben den typischen amerikanischen Small Talk, der mir mittlerweile richtig Spaß macht, bis er plötzlich sagt: „Jim ist übrigens ein ganz toller Künstler. Du solltest mal bei ihm in der Galerie in SoMa vorbeikommen.“ Jim schaut ganz verschämt und versucht, von sich abzulenken: „Dafür ist Alex ein grandioser Web-Designer. Du musst dir mal seine Seite anschauen, wirklich allererste Sahne.“ Sie schauen sich ganz verzückt an, turteln miteinander, mir ist ein bisschen unwohl: „Oh, sehr gerne“, sage ich. In diesem Moment kommt Sophia mit einer neuen Flasche Wein in die Küche und rettet mich aus der Situation und der Abend wird noch lang und amüsant. Am Ende tauschen Alex und ich Nummern aus und er drückt undknuddelt mich zum Abschied. So sehr, dass Jim sogar ein bisschen blöd aus der Wäsche guckt. „Melde dich, wenn du Fragen zum Web-Design von eurer Healthcare-Website hast. Und sowieso sollten wir unbedingt mal wieder etwas gemeinsam machen“, sagt er zum Abschied. Ich gehe mit der wohligen Empfindung nach Hause, dass dies mal wieder der Beginn einer neuen Freundschaft ist.
Keine zwei Tage später wache ich mit einem ziemlich unguten Gefühl auf. Zahnschmerzen! „Kannst du mir einen guten Zahnarzt empfehlen?“, frage ich Katie im Büro, während ich mir die Wange halte. „Oh je! Poor girl.“ Sie greift in ihre Handtasche, kramt ein bisschen darin herum und reicht mir dann eine Tablette. „Hier ein Mittelchen“, schlägt sie vor. Ich bin nicht sicher, ob ein Zahnarzt in diesem Fall nicht besser helfen kann als ein Schmerzmittel von Walgreens, dem Drogeriemarkt, der auch eine große Auswahl an rezeptfrei erhältlichen Medikamenten führt. „Hast du eine Zahnarzt-Empfehlung?“, frage ich. „Ich bin bei Dr. Roberts – der ist gleich um die Ecke.“ Bisher habe ich noch keinen Zahnarzt gebraucht und so muss Katie mir die Versicherungssituation erst noch erklären. „Unsere Zahnversicherung
Weitere Kostenlose Bücher