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Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Titel: Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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hatte sich sein Leben lang bemüht, nicht fotografiert zu werden, und nun würde er auf mindestens fünfhundert Bildern im Großraum Kyoto auftauchen. Nicht, daß das etwas ausmachte. Es ging, wie man so schön sagt, ums Prinzip.
    Gegen halb drei nachmittags verließ Neal immer seine Bank und spazierte hinüber zum Piccadilly. Vielleicht hatte Allie ihren Job aufgegeben und sich unter die bunte Schar Jugendlicher gemischt, die zu Füßen des Gottes Eros herumlungerten. Die Kids saßen da, reichten ihre Joints weiter und waren mächtig zufrieden mit ihrer geballten Nonkonformität. Allie war nicht dabei; individuelle Nonkonformität war schon immer eines ihrer Fachgebiete gewesen. Neal tat der arme Eros leid, der über Kinder wachen mußte, für die Sex bereits langweilig geworden war. Und du wirst jetzt wohl ein netter kleiner Zyniker? fragte er sich selbst. Er mochte sich nicht besonders leiden.
    Der kurze Weg gab ihm eine gute Entschuldigung, sich die Beine ein wenig zu vertreten und den alten Schweiß durch neuen aufzufrischen. Sein Weg führte ihn an einem »Wimpy« vorbei, und oftmals auch hinein. Erinnerungen an Nicks Burger-Joint… Er übte sich darin, das Stück Pappe, das die Briten Hamburger nannten, mit Senf (kostete extra), Ketchup (kostete extra) und Salz (umsonst) zu verfeinern, bevor er es zusammen mit den fettigen Fritten runterwürgte, die sie hier als armseliges Imitat französischer Pommes frites anboten.
    Nach einer Woche änderte er seine Route. Er ging die St. Martin’s Lane entlang, an der Dauer-Demo vor der südafrikanischen Botschaft vorbei und zum Trafalgar Square. Er guckte sich die Touristentrauben vor der Säule mit dem Nelson-Denkmal an. Ging weiter zur Whitehall Street, schlängelte sich durch kleine Seitenstraßen und über die Horse Guards Road in den St. James’s Park.
    Wenn es überhaupt irgendeine Ecke in London gab, die Neal gefiel, dann war das der St. James’s Park. Eine Zufluchtsstätte, eine Oase der Ruhe. Um einen liebevoll von Menschenhand designten See. Über mehrere hundert Baumarten hinweg konnte man die Turmspitze des Buckingham Palace sehen. Neal schlenderte zu einem Kiosk, der Tee und Sandwiches verkaufte. Er wartete ohne Murren in der langen Schlange, kaufte sich eine Tasse Tee und einen gezuckerten Berliner und spazierte zum See. Dort mietete er für zehn Pence einen Sonnenstuhl und warf den Enten und Schwänen Brösel seines Gebäckstücks zu. Er hätte Allie Chase vermutlich bemerkt, wenn sie auf einem der kolossalen schwarzen Schwäne an ihm vorbeigeglitten wäre, aber ansonsten vergaß er den Fall total.
    Das ist good old England, dachte Neal, oder zumindest stellte er sich good old England so vor. Die Touristen gingen alle in den Hyde Park, aber der St. James’s Park war voller Nannies, die Kinderwagen umherschoben, Beamten aus den Ministerien in Whitehall, die ihre Mittagspause hier verbrachten, und Pensionären, für die ein Spaziergang im Park zur täglichen Routine gehörte.
    Wenn er seinen Tee ausgetrunken hatte, ging Neal manchmal nach Norden, zum Waterloo Place und zur Regent Street, und dann zum Piccadilly. Oder nach Süden, die Horseguards Road entlang zur Great George Street, die Bridge Street entlang, nickte dem Big Ben zu und marschierte dann Victoria Embankment entlang.
    Aber auch an dieser Themse-Promenade, auf der allerhand Kids herumlungerten, fand er Allie Chase nicht. Trotzdem versuchte er es immer wieder. Aktives Versagen gefiel ihm besser als passives.
    Gegen halb vier oder vier kehrte er zum Leicester Square zurück, checkte die Szene und verschwand in der U-Bahn. Jeden Nachmittag drehte er seine Runde durch etliche Stationen. Selbst ungeübte Bettler können sich in einer Großstadt während der Rush-hour ihr Geld verdienen, wenn sie einigermaßen smart sind und ein nettes Gesicht haben. Auf Allie traf beides zu, also machte Neal eine zwei-Stunden-Reise vom Leicester Square zum Piccadilly, wechselte in die Bakerloo Line und fuhr nach Charing Cross, sah sich dort um und fuhr weiter zum Embankment, stieg in die Circle Line um, dann Victoria, Sloane Square, South Kensington und Gloucester Road. Dort nahm er die District Line, fuhr zum Earl’s Court und weiter nach Notting Hill Gate, dann Paddington, wo er in die Metropolitan Line umstieg. Anschließend checkte er die Baker Street, wobei er immer an Sherlock Holmes denken mußte und fuhr weiter zu King’s Cross, wo er sich durch die engen Gänge schlängelte, um zurück zur Piccadilly

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