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Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1

Titel: Ein kalter Hauch im Untergrund - Neal Carey 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Line zu kommen. In Covent Garden stieg er nochmal aus, und dann ging’s zurück zum Leicester Square.
    Dieser Sight-Seeing-Trip diente der Hoffnung, daß Allie es mit der weltweit beliebten »Ich hab mein Portemonnaie verloren und brauche Geld für eine Fahrkarte«-Nummer versuchte und ihm dabei in die Arme lief.
    Aber vielleicht bettelte Allie auch gar nicht. Trotzdem, allein die vage Chance, daß Allie sich ihr Geld im Untergrund verdiente, ließ Neal täglich diese Tour absolvieren. Es war heiß wie in der Hölle.
    Schwül war nicht das richtige Wort. Auch nicht feuchtheiß oder irgendein anderes Adjektiv. Es war einfach teuflisch heiß. Göttlich heiß. Eine absolute Hitze, die die bloße Möglichkeit von Kälte auszuschließen schien. Als wäre ein kalter Hauch nur die Erinnerung an etwas, das einmal war, das es aber nie wieder geben würde.
    Steife Oberlippen wellten sich. Und zwar, wenn der Zug fuhr. Wenn er zwischen zwei Stationen feststeckte, was hin und wieder vorkam, und eine höfliche Ansage durch die Lautsprecher hallte, stöhnte die Menge auf. Die Menschen ließen die Köpfe sinken, starrten ihre Füße an und sahen ihren Schweiß auf ihre Schuhe tropfen. Wenn der Zug schließlich wieder anfuhr, wurde die Luft zwar nicht besser, aber das Ende der Qualen rückte näher.
    Städte sind wie alte Frauen: Die Dunkelheit überdeckt die Spuren des Alters. Sie läßt die Linien und Falten verschwimmen, die jede gute Frau und jede gute Stadt im Gesicht tragen, als Zeichen, daß sie leben.
    Am Tag erschien das Leben in der Stadt unmöglich, nachts unwiderstehlich. Nächte sind für Spieler; zum Tafeln und Tanzen; zum Flirten und Ficken. Die Füße werden leichter, das Blut fließt schneller, die Blicke huschen zum Neonblau und Neonrot vor dem sanften Schwarz der Nacht.
    Nachts tun die Menschen Dinge, die sie tagsüber nicht einmal träumen würden. Sie sehen die Welt anders. Hart wird weich. Eintönig wird bunt. Huren werden Kurtisanen; Nutten sind die Ladies der Nacht. Das Licht bricht sich wunderschön in zerbrochenen Flaschen. Nachts ist jeder ein wenig Teufel. Am nächsten Morgen kann man sich immer noch mit Gott beschäftigen.
    In Sohos Türen verkündeten Aufreißer, daß drinnen nackte, absolut nackte Tänzerinnen am Werk waren. Aber keine von ihnen war Allie. Die Türsteher bewachten die Tore der In-Discos, ließen die Schönen ein, die Gutangezogenen und die Wichtigen, und jagten die anderen davon. Allie gehörte nicht zu ihnen. Kellner servierten gestylten Theatergängern in Westend-Pubs Speisen und Getränke. Weder servierte Allie, noch wurde ihr serviert.
    Auf dem Leicester Square überwachte Neal die Telefonzelle, und ab und zu rief er sogar selbst einmal an, nur um zu sehen, wer, wenn überhaupt, antwortete. Jedenfalls weder Allie noch ihr Dealer. Neal blieb wachsam; nachts noch mehr als sonst.
    Er wußte, daß die Nacht, wie die meisten Schönheiten, gefährlich war. Der Einsatz war höher, und deshalb waren die echten Spieler unterwegs. Zu viele von ihnen waren auf Alkohol und Drogen, was sie unberechenbar machte, und Neal haßte das Unberechenbare.
    Also sah Neal sich um, blieb aber im Schatten, hinter Ecken und in dunklen Nischen, kaufte sich Snacks an kleinen Ständen, mischte sich unter die Menschentrauben vor den Kinos, den Discos, den Straßenmusikanten. Er arbeitete mit jedem Trick, den Graham ihm beigebracht hatte und verließ sich nicht auf »die Tarnung der Nacht«. Die Nacht tarnte jeden.
    Ladies checkten ihre Freier, Luden checkten ihr Gebiet. Die Gangs waren gefährlich, sie suchten nach einer Entschuldigung für einen Streit. Die Schizos waren noch gefährlicher, weil sie keine Entschuldigung brauchten. Sie waren alle unterwegs.
    Nur Allie nicht. Und ihr Dealer.
    So ging das einen Monat. Neal hatte seine dünne Spur und ein Bündel Wenns und Abers. Vielleicht hatte der Dealer Mist gebaut und saß im Knast. Vielleicht hatte er jemanden nicht bezahlt und schwamm im Fluß. Vielleicht hatte er sich für eine Umschulung entschieden. Vielleicht war Allie nur eine Nacht bei ihm gewesen. Vielleicht war das alles Quatsch.
    In den frühen Morgenstunden saß Neal auf seinem Zimmer und schlang chinesisches Essen aus dem Pappkarton in sich hinein, spülte es mit zwei warmen Bieren vom Zimmerservice runter und rief Graham an. Fragte, ob er aufhören und nach Hause kommen könne. Nein. Er legte auf. Badete, um den Streß und den Schweiß abzuwaschen. Schaffte es nicht.
    Also entschied er sich

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