Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
Religion ist nicht, was die Gespenster interessiert. Sie interessiert vielmehr die Tatsache, dass gottesfürchtige Familien die Sorte Mädchen hervorbringen, auf die sie es abgesehen haben.«
»Die Bewlees verstecken etwas«, brummte Carmine. »Andernfalls passt Margaretta nicht hinein.«
»Sie passt nicht hinein«, sagte Patrick geduldig, »weil deine Hypothese verrückt ist. Komm zurück aufs Wesentliche! Wenn du dir die Gespenster eher als Vergewaltiger denn als Mörder vorstellst, dann suchst du
nicht
nach einem religiösen Fanatiker, egal, welcher Hautfarbe oder Konfession, christlich oder anders. Du suchst einen Mann oder zwei Männer, die alle Frauen hassen, aber manche mehr als andere. Die Gespenster hassen Tugend, verbunden mit Jugend, verbunden mit Hautfarbe, verbunden mit einem Gesicht, verbunden mit anderen Dingen, die wir nicht kennen. Aber wir wissen von der Tugend, der Jugend, dem Gesicht, der Hautfarbe. Keine von ihnen ist weiß gewesen,und keine von ihnen wird jemals weiß sein. Ihre beste Stichprobe ist römisch-katholisch, das ist alles. Die Kinder werden für ihr Alter extrem behütet erzogen, streng überwacht und sehr geliebt. Das weißt du, Carmine! Aber die Familien sind keine Neuankömmlinge in Amerika, und ich glaube, dass ein fanatischer religiös motivierter Mörder Neueinwanderer ins Visier nehmen würde – den Zustrom niedrig halten, es muss sich herumsprechen: Wenn du hierher einwanderst, werden deine Kinder vergewaltigt und abgeschlachtet.«
»Ich werde Mr Bewlee trotzdem aufsuchen«, sagte Carmine starrsinnig.
»Wenn du das musst, dann musst du das tun. Aber es wird nicht passen, weil das Muster, das du siehst, eine Ausgeburt deiner Phantasie ist. Du bist ein Opfer der Kampfmüdigkeit.«
Sie verstummten; keine drei Stunden mehr, und die Schicht würde vorbei sein.
Kurz vor sieben stieß das Funkgerät ein weiteres geheimes Geräusch aus. Es besagte: Verschwinde unauffällig von deinem momentanen Standort und geh zu deinem Sammelpunkt, denn ein Mädchen wurde entführt.
Carmines Sammelpunkt war das Major Minor’s Motel, wo er und Patrick in der Rezeption verlangten, das Telefon benutzen zu dürfen. Der Major stand persönlich hinter dem Empfang und brannte darauf zu erfahren, was passiert war. Sämtliche Zimmer waren von der Polizei von Holloman zu einem Preis gebucht worden, von dem sie – und er – wussten, dass er maßlos überzogen war, besonders da niemand die Zimmer benutzte. Das KEIN-ZIMMER-FREI-Schild war eine zusätzliche Tarnung für parkende Autos, und der Major dachte nicht im Traum daran, dieses Schild einzuschalten, wenn es nicht der Wahrheit entsprach.
Während Carmine sprach, beobachtete Patrick Major Minorund fragte sich beiläufig, ob, wie so viele Menschen mit bedeutungsvollen Namen, der junge F. Sharp Minor wohl nach West Point gegangen war mit dem festen Vorsatz, jenen Dienstgrad zu erreichen, der seinen Namen zu einem Widerspruch in sich machen würde. Heute in den Fünfzigern, mit der geschwollenen, violetten Nase eines Trinkers, hatte er die profane Einstellung eines Schreibtischkriegers: Solange die Formulare korrekt ausgefüllt werden und der Papierkram zweckdienlich ist, kannst du tun, was immer du willst, von einem Soldaten die Scheiße aus dem Leib prügeln bis zum Stehlen von Schusswaffen aus dem Depot. Diese Eigenart im Wesen von Major Minor war förderlich für ein Geschäft, zu dem die Gäste am Nachmittag für eine Stunde kamen; der eigentliche Parkplatz lag hinten, so dass keine Ehefrau, die auf der Route 133 kreuzte, den Wagen ihres Göttergatten erspähen konnte. Zu einem Zeitpunkt war Carmine so verzweifelt gewesen, dass er Major F. Sharp Minor als Verdächtigen einstufte, nur weil er wusste, dass sämtliche Zimmer mit versteckten Gucklöchern ausgestattet waren. Der alte Schurke hatte die Kameras demontiert, nachdem ein Privatdetektiv ihn erwischt hatte, wie er einen Firmenchef und seine Sekretärin filmte, aber
zusehen
konnte Major Minor immer noch.
»Norwich diesmal«, sagte Carmine. »Corey, Abe und Paul werden jeden Moment hier sein.« Er entfernte sich weiter von dem Major. »Sie ist libanesischer Abstammung, aber die Familie lebt seit 1937 in Norwich. Ihr Name ist Faith Khouri.«
»Sind sie Moslems?«, fragte Patrick mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck.
»Nein, sie sind katholische Maroniten. Ich bezweifle, dass es eine maronitische Kirche gibt, weswegen sie ihren Gottesdienst in der ganz normalen katholischen Kirche
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