Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
Mädchen einem Risiko aussetzen? Sollen wir sie dem Horror aussetzen, von diesem Mann entführt zu werden? Das mache ich nicht!«
»Sie wird ordentlich Angst kriegen, ja, aber sie wird darüber hinwegkommen. Wir wissen doch, wer er ist, richtig? Wir wissen, wie er vorgeht, richtig? Also observieren wir ihn – ist ja nicht mehr nötig, sonst noch jemanden zu observieren –«
»Das können wir nicht, Danny«, unterbrach Silvestri. »Wir müssen jeden genauso überwachen, wie wir es vor einem Monat getan haben. Andernfalls wird er etwas mitbekommen. Ohne komplette Überwachung geht es nicht.«
»Okay, aber wir wissen, dass er es ist, also werden wir ihm eine besondere Ration Aufmerksamkeit schenken. Wenn er sich rührt, werden wir da sein. Wir folgen ihm zum Haus seines Opfers und lassen ihn sie schnappen, bevor wir ihn schnappen. Mit der Entführung, dem Tunnel und dem OP wird er unmöglich als freier Mann wieder aus dem Gerichtssaal wandern«, sagte Marciano.
»Das sind alles nur Indizienbeweise«, knurrte Silvestri. »Ponsonby hat mindestens vierzehn Morde begangen, aber wir sind mit unserer offiziellen Zählung erst bei vier. Wir wissen, dass die ersten zehn Opfer verbrannt wurden, aber wie sollen wir das jemals beweisen? Ist Ponsonby für Sie der Typ, der alles gesteht? Ich schätze ihn nicht so ein. Da sechzehnjährige Mädchen jeden Tag von zu Hause weglaufen, gibt es zehn Morde, wegen denen wir ihn nicht verurteilen können. Alles hängt von Mercedes, Francine, Margaretta und Faith ab, aber mit keiner von ihnen verbindet ihn etwas außer einer Vermutung so zerbrechlich wie mundgeblasenes Glas. Danny hat vollkommen recht. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, ihn auf frischer Tat zu erwischen. Wenn wir jetzt in sein Haus eindringen, wird er ungeschoren davonkommen. Seine Anwälte werden gut genug sein, um die Geschworenen zu überzeugen, ihn laufen zu lassen.«
Sie blinzelten sich an, die Gesichter ratlos und wütend.
»Wir haben noch ein Problem«, sagte Carmine. »Claire Ponsonby.«
Commissioner Silvestri war kein gotteslästerlicher Mann, aber heute brach er seine eigenen Regeln. »Kacke! Pisse!«, fauchte er. Dann stieß er fast bellend aus: »Scheiße!«
»Wie viel weiß sie, deiner Meinung nach, Carmine?«, fragte Patrick.
»Ich weiß es nicht, Patsy. Ich weiß, dass sie wirklich blind ist, ihr Augenarzt hat es bestätigt. Und das ist kein Geringerer als Dr. Carter Holt, heute Professor für Augenheilkunde an der Chubb. Dennoch habe ich noch nie einen geschickteren blinden Menschen gesehen als sie. Wenn sie der Köder ist, der vor der Nase einer nonnenhaften Sechzehnjährigen baumelt, die förmlich darauf brennt, Gutes zu tun, dann ist sie eine unmittelbare Tatbeteiligte an Vergewaltigung und Mord, selbst wenn sie Ponsonbys OP niemals betritt. Welchen besseren Köder als eine blinde Frau könnte es geben? Andererseits ist eine Blinde auch sehr auffällig. Sie würde sich auf einem Terrain bewegen müssen, das sie auch nicht annähernd so gut kennt wie die Ponsonby Lane Nummer 6 – wie schnell könnte sie sich da bewegen? Wie sollte sie ihre Zielperson erkennen, sofern Chuck nicht an ihrer Seite ist? Oh, ich habe einen Großteil des Morgens damit verbracht, mir über Claire den Kopf zu zerbrechen! Ich sehe sie immer wieder vor der St. Martha’s School in Norwalk – wusstet ihr, dass der Bürgersteig dort seit über einem Jahr in miserablem Zustand ist, weil die Gemeinde Kanalarbeiten durchführt? Da zwei Mädchen praktisch am gleichen Ort verschwunden sind, muss sie einfach von jemandem bemerkt worden sein. Meiner Meinung nach müsste Claire schon auf einem mit Löchern übersäten Bürgersteig Übungsspaziergänge absolviert haben. Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass Claire für Chuck mehr Behinderung als Gewinn wäre. Ich vermute, sie könnte ihm vielleicht von einigem Nutzen gewesen sein beim Transport per Auto in seinen OP, aber das kommt mir irgendwie ziemlich fadenscheinig vor. Und doch muss er einen Komplizen gehabt haben.«
»Dann schließen wir Claire als Komplizin aus?«, fragte Silvestri.
»Nicht völlig, John. Wir sagen einfach, es ist eher unwahrscheinlich.«
»Mag ja sein, dass sie keine Komplizin ist, aber könnte es trotzdem sein, dass sie weiß, was ihr Bruder tut?«, fragte Patrick.
»Ich kann euch dazu nur so viel sagen, dass es eine enorme Bindung zwischen den beiden gibt. Da wir jetzt wissen, was für eine Kindheit sie hatten, ergibt ihre sehr enge Beziehung auch mehr
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