Ein kalter Mord - McCullough, C: Ein kalter Mord
genau zu sein, alle zwei Monate eine in 1964: Waterbury, Holloman, Middletown, Danbury, Meriden und Torrington. Der einzige Ort, an dem er in fast zwei Jahren wiederholt tätig gewesen war, war Norwalk. Jedes Mädchen hatte karibisches Mischblut, doch es war nie eine Familie, die erst kürzlich eingewandert war. Puerto Rico, Jamaica, die Bahamas, Trinidad, Martinique, Cuba. Einsfünfzig groß, atemberaubend schön, mit vollentwickelter Figur und sehr fürsorglich aufgezogen. Alle neu hereinkommenden Fälle waren Katholiken, obwohl nicht alle eine katholische Schule besucht hatten. Keine hatte einen Freund gehabt, alle waren erstklassige Schülerinnen und bei ihren Mitschülern beliebt. Noch wichtiger: Keine hatte ihrer Familie oder ihren Freunden anvertraut, einen neuen Freund zu haben, eine neue Art von guter Tat zu tun oder auch nur eine neue Bekanntschaft gemacht zu haben.
Um fünfzehn Uhr kletterte Carmine alleine in den Ford und machte sich auf den Weg, die I-95 runter Richtung Norwalk, wo Joe Brown es für ihn arrangiert hatte, die Familie Alvarez zu besuchen. Er selbst könne nicht dabei sein, fügte er schnell an; Carmine wusste warum. Joe konnte keine weitere Sitzung mit den Alvarez verkraften.
Das Haus wurde von drei Familien bewohnt und gehörte José Alvarez. Er lebte mit seiner Familie im Erdgeschoss und vermietete die beiden Wohnungen darüber. So wünschten sich viele arbeitende Leute zu leben: quasi mietfrei, die mittlere Wohnung bezahlte Kredit und Unterhalt, und die oberste Wohnung brachte das bisschen Extra ein, für Reparaturen und schlechte Tage. Da sie im Erdgeschoss lebten, hatten sie den Garten für sich, die Hälfte der Garage für vier Wagen und den Keller für ihre eigenen Zwecke. Und ein Vermieter, der mit im Haus wohnte, konnte seine Mieter immer scharf im Auge behalten.
Wie alle Nachbarhäuser war das Gebäude dunkelgrau gestrichenund hatte doppelte Fenster, deren äußere Teile im Sommer durch Fliegengitter ersetzt wurden. Eine Veranda grenzte direkt an den Bürgersteig, aber nach hinten raus gab es einen riesigen Garten, der von einem Maschendrahtzaun umgeben war. Die Garage lag am Ende des Gartens, deren Zufahrt an einer Seite des Hauses vorbei nach hinten führte. Während Carmine auf der von Eichen gesäumten Straße stand, konnte er das Bellen eines großen Hundes hören. Keine Chance, über die Hintertür einzubrechen, wenn ein Hund Wache hielt.
Der Priester öffnete die Eingangstür, die neben der Tür zu den oberen beiden Wohnungen lag. Carmine begrüßte den Priester mit einem Lächeln und wand sich aus seinem Mantel.
»Es tut mir leid, dies hier tun zu müssen, Vater«, sagte er. »Mein Name ist Carmine Delmonico. Soll ich hier der Lieutenant sein oder einfach nur Carmine?«
Nach einigem Nachdenken meinte der Priester: »Lieutenant wird besser sein, nehme ich an. Ich bin Bart Tesoriero.«
»Müssen Sie in Ihrer Gemeinde Spanisch sprechen?«
Vater Tesoriero öffnete die innere Tür. »Nein, obwohl ich eine ganze Reihe hispanoamerikanischer Gemeindemitglieder habe. Es ist ein alter Teil der Stadt, und sie sind alle schon sehr lange hier. Kein Vorhof zur Hölle, das ist mal sicher.«
Das Wohnzimmer, das größer ausfiel als bei den oberen Wohnungen, war voller Menschen und von einem tiefen Schweigen erfüllt. Selbst südländischer Abstammung, wusste Carmine, wie es in solchen Fällen war. Die Familie war von überall her zusammengekommen, um den Alvarez in dieser Zeit der Not beizustehen. Carmine wusste also, wie mit ihnen umzugehen war, aber war gar nicht dazu gezwungen. Mit einer Frau, die aussah wie die Großmutter eines unsicher an ihrer Hand gehenden kleinen Jungen, führte der Priester alle bis auf die unmittelbare Familie hinaus in die Küche.
Damit blieben José Alvarez, seine Frau Concita, ihr ältester Sohn Luis und die drei Töchter – Maria, Dolores und Teresa – im Raum zurück. Vater Tesoriero ließ Carmine auf dem besten Sessel Platz nehmen und setzte sich selbst zwischen das Ehepaar.
Es war ein Zuhause voller Zierdeckchen, Spitzenvorhängen hinter Vorhängen aus künstlichem Samt, ansehnlichen, vielbenutzten Polstermöbeln, und Terrakottafliesen unter ausgetretenen Teppichen. An den Wänden hingen Bilder des Letzten Abendmahles, des Herzens Jesu und von Maria mit Kind, sowie viele gerahmte Fotos der Familie. Überall standen Vasen mit Blumen, jede mit einer Karte; der starke Duft von Freesien und Narzissen raubte Carmine fast den Atem. Woher bekamen
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